Die Maggan-Kopie
Ende ihrer ersten großen Liebe.
Maggan konnte es ihrem Vater eine ganze Zeit lang nicht verzeihen. Irgendwann aber begannen die Bilder in ihrem Kopf zu verblassen, dann vermischten sich Erinnerungen und Traum. Maggan b e gann zu vergessen.
Sinn
Als Maggan in diesem Krankenhausbett lag und aus einem dreiwöchigen künstlichen Koma erwachte, war es ihr zu anstrengend über irgendetwas nachz u denken, weder über die Vergangenheit noch über die Zukunft. Ihr Vater hatte ihr ganzes Leben gut geregelt und würde es auch jetzt tun. Maggan verließ sich einfach auf seine Kraft und se i ne Macht.
Zwei Tage später konnte sie schon wieder feste Nahrung zu sich nehmen. Ihr Vater kam jetzt jeden Abend vorbei. Eigentlich hätte sie das Anrecht auf ein l u xuriöses Einzelzimmer gehabt. Doch dort war es langweilig und depr i mierend, deshalb hatte sie sich in ein 2.-Klasse-Zimmer verlegen lassen. Dort war Maggan nicht so einsam.
Eine Frau lag neben ihr. Sie war eine kleine, recht schmächtige Frau und man sah ihr an, dass sie schon lange um ihr Leben kämpfen musste. Die A u gen waren groß und lagen in tiefen Höhlen. Sie hatten immer einen etwas entsetzten Au s druck. Dunkle Ringe zeichneten sich darunter ab. Ihre Haut war blass, fast durchsichtig und das lange blonde Haar hing strähnig über ihre Schultern. Ihr Name war Luise Södermann und sie war Ende dreißig. Wah r scheinlich war sie einmal eine attraktive Frau gewesen, doch jetzt wirkte sie am Ende ihrer Kräfte. Alle zwei Tage kamen ihr Mann Jon und die zwei Töchter Maria und Gabriele zu Besuch. Die anderen Tage hing sie stundenlang im Keller an einem Dialyseg e rät.
„Sie haben Glück“, sagte Luise eines Morgens zu Maggan. „Sie haben wirklich Glück, dass so schnell ein Spender für Sie gefunden wurde, Maggan. Ich warte nun schon seit fast einem Jahr darauf. Manchmal habe ich es so satt, dass ich mir wünsche, endlich zu sterben und an anderen Tagen bin ich übe r glücklich, dass ich noch lebe, dass ich meinen Mann und die Kinder habe, und dann bin ich fest davon überzeugt, dass irgendwann eine passende Niere für mich gefunden wird.“
„Ja“, sagte Maggan, „ich hatte wirklich Glück. Mein Vater sagte, dass noch am selben Tag ein Ve r kehrsunfallopfer starb, das meine Werte hatte. Das ist wirklich Glück.“ Nach einer Weile hatte Maggan das Bedürfnis noch hinzuzuf ü gen:
„Natürlich nicht für den Spender.“
„Das stimmt“, antwortete die Frau. „Es ist schon irgendwie paradox. Da liegt man hier und wartet darauf, dass jemand stirbt, dessen Niere man b e kommen könnte. Ist ziemlich pervers, oder?“
„Ich glaube, sie sollten nicht allzu sehr darüber nachdenken. Ich jedenfalls versuche, das zu verdrä n gen“, antwortete Maggan. Ihr war wirklich unwohl bei dem Gedanken, dass jemand sterben musste, damit sie leben konnte. Dazu kam, dass sie diesen Jemand noch nicht einmal kannte. Wahrscheinlich war es auch besser so. Vielleicht hatte er oder sie eine Familie hinterlassen. Und Maggan lag hier und hatte Glück – Glück, dass jemand gestorben war.
„Ich war auch immer der Ansicht, dass man nicht zu viel darüber nachdenken sol l te, sondern sich auf sein weiteres Leben vorbereiten und freuen sollte. Doch wenn man hier so liegt, bleibt einem nichts anderes übrig, als ständig d a rüber nachzudenken“, entgegnete Luise niedergeschlagen.
Nach einer Weile fragte sie: „Wissen Sie, wer der Spender war?“
Maggan war schockiert über diese Frage.
„Nein“, antwortete sie, „ich glaube, ich will es auch gar nicht wissen. Würden Sie es denn wissen wo l len?“
„Ich weiß nicht. Wahrscheinlich nicht. Wahrscheinlich bekommt man dann nur Gewissensbisse oder fühlt sich für die Hinterbliebenen verantwortlich“, en t gegnete Luise.
„Ja, das denke ich auch. Schließlich war er auch ein Mensch mit einem L e ben.“ Maggan grübelte noch eine ganze Weile darüber nach, doch dann en t schied sie sich es zu verdrängen. Es brachte ja nichts, wenn sie darüber nac h dachte und den Menschen konnte sie schließlich auch nicht mehr lebendig machen. Er war im Grunde genommen ja nicht für sie gestorben, sondern sein Tod hatte nac h träglich noch ein Leben gerettet. Diese Ansicht beruhigte Maggan wieder ein wenig, dennoch war es ein bedrückender Gedanke. Irgendwie fühlte sie sich am Tod eines fremden Menschen schu l dig.
Luise schaltete den Fernseher ein, um beide auf andere Gedanken zu bringen. Das etwas antiquierte Gerät war
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