Die Magie des Falken
einmal, gewahrte es auch wie eine unwichtige Nebensächlichkeit, dass Hvelpr den Gegner aus nächster Nähe mit seinem letzten Pfeil niederstreckte und eilig den Bogen gegen ein Beil tauschte.
Und dann sah er den Goldhelm. Auf dem Vorschiff hatte Olafr sich hinter seinen letzten Getreuen verbarrikadiert, die einen Schilderwall bildeten und sich trotz der Übermacht unvermindert heftig zur Wehr setzten. Zwischen ihren Rundschilden war nicht mehr zu erkennen als das Blinken von Olafs Helm und die Gestalt seines Vertrauten Korbjörnr, die ihm an Massigkeit in nichts nachstand. Eirikr Jarl ging inzwischen unverdrossen zum Angriff auf Olafs letzte Bastion über. Doch Kyrrispörr überließ ihm diesen Angriff nicht: Wie von Sinnen schrie er auf und preschte vor. In Todesverachtung warf er sich gegen den Schilderwall und lenkte mit dem Speerschaft den Hieb einer Kampfaxt von sich weg. Seine Männer folgten seinem Beispiel. Die magischen Bällchen taten auch bei ihnen ihre Wirkung: Keiner von ihnen kümmerte sich mehr um Gefahren; sie alle wollten nur noch eines: Kämpfen, töten, zerschlagen. Als Halfdanr neben Kyrrispörr die Hand abgetrennt wurde und er mit irrem Blick auf seinen spritzenden Armstumpf starrte, da kümmerte es keinen. Allein zählte der Tod der Feinde. Nicht der eigene.
»Der König ist mein!«, schrie Kyrrispörr, während er einem Gegner den eigenen Schild ins Gesicht rammte.
Eirik Jarls Mannen wollten nun nicht hinnehmen, dass die Gefolgsleute eines Bœndi den Kampf ohne sie ausfochten. Und so drängten sie von der Seite in den Kampf hinein. Alles ballte sich im Vorschiff des königlichen Drachenschiffes.
Die Schildburg brach. Sie war der schieren Gewalt des Ansturms nicht gewachsen. Olaf Tryggvasons beste Krieger verloren das Gleichgewicht, wurden gegen die Reling gedrückt, starben unter der Klinge der halb wahnsinnigen Angreifer. Gerade, als die Schilde auseinandergingen und den König selbst entblößten, schleuderte er zwei Speere auf einmal. Hvelpr mochte der Einzige sein, der aus Kyrrispörrs Gefolge noch bei Sinnen war; jedenfalls riss er ihn geistesgegenwärtig zur Seite, und der Mann hinter ihnen brach durchbohrt zusammen. Kyrrispörr schrie vor Wut darüber auf, dass Hvelpr ihn am Angriff auf Tryggvason gehindert hatte, wie es ihm erschien; für einen Augenblick kämpfte er um sein Gleichgewicht, das schwerer zurückzuerlangen war als sonst. Als er aber wieder stand und den Speer zum ersten und letzten Stoß anhob, war König Olafr verschwunden.
»Wo ist er?«, schrie Kyrrispörr mit sich überschlagender Stimme.
»Dort! Dort!«, rief Hvelpr und stieß zwei Männer beiseite, die sich an der Reling ineinander verbissen hatten. Kyrrispörr sah schwer atmend in die See unterhalb des Schiffes. Kaum vermochte er etwas zu erkennen, Farbflecken und Trugbilder tanzen vor seinen Augen. Aber das eine sah er: Den roten Mantel, gerade unter dem Bug des Schiffes.
»Fliehen willst du, sterben wirst du!« Kyrrispörr hob den Speer und schleuderte ihn mit aller Kraft. Der König schrie getroffen auf und strampelte vor Schmerz im Wasser.
»Bringen wir es zu Ende!« Blitzartig zogen die Bilder des brennenden Langhauses an Kyrrispörr vorbei, die erstickenden Seimenn, die grauenhafte Einsamkeit der Bucht, in die er in Erwartung der Flut gelegt worden war. Er zog Kampfmesser und Schwert und setzte schon einen Fuß auf die Brüstung des Schiffes, um hinabzuspringen. Da hielt Hvelpr ihn fest.
»Was!«, donnerte Kyrrispörr und befreite sich mit einem Zug des Kampfmessers von ihm. Doch Hvelps Blick machte ihn zögern. Sein Freund war bleich geworden.
»Du hast nicht Tryggvason verletzt!«, brüllte er.
»Was redest du! Sieh doch selber …«
Und dann erkannte Kyrrispörr seinen Irrtum. Wen er verletzt hatte, war tatsächlich nicht der König. Es war der gleich gekleidete Huskarl des Königs, Korbjörnr. Von Kyrrispörrs Speerwurf verletzt, krallte er sich an einem Schild fest – dem Schild Olaf Tryggvasons. Der König aber war verschwunden.
Alle Kraft wich aus Kyrrispörr. Während zwei Männer von Eirik Jarl Korbjörn aus dem Wasser zogen und gefangen nahmen, starrte Kyrrispörr nur teilnahmslos vor sich hin.
»Ich habe zum zweiten Mal Blut vergossen«, murmelte er. »Und es war nicht das des Königs. Ich habe versagt. Munnin hat keine Beute. Oinn, was willst du von mir?«
»Dass du lebst«, erwiderte Hvelpr. Mit blutverschmiertem Gesicht und zerrissenen Kleidern stand der rothaarige Junge an der
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