Die Magie des Falken
bis der Vogel nach einer Weile wieder den Kopf ins Gefieder steckte. Mit einem Seufzer ließ Kyrrispörr sich wieder zurücksinken und konnte lange nicht mehr einschlafen. Wenigstens sollte es diesmal ein traumloser Schlaf werden.
Auch am nächsten Morgen fühlte Kyrrispörr sich ganz zerschlagen, noch mehr als nach seiner Bewusstlosigkeit.
Kyrrispörr blinzelte. Seine Augen waren ganz verklebt. Immerhin hatte der kalte Wind, der über seine Wangen strich, etwas erfrischendes. Schräg über ihm hockte Laggar auf einer Stange und guckte gelangweilt übers Land. Mit einem Stöhnen ließ Kyrrispörr wieder den Kopf ins Rentierfell zurücksinken und schloss kurz die Augen. Merkwürdig: Einerseits wollte er um keinen Preis aufstehen, andererseits konnte er nicht mehr liegen – wie er sich auch drehte, immer drückte oder zog es irgendwo. Schließlich überwand er sich und richtete sich auf. Sein Kopf bestrafte ihn sofort mit einem heftigen Schwindelanfall. Während er aufgestützt darauf wartete, dass der Schwindel verging, drang ihm der Duft von Fischbrühe in die Nase.
»Na, ausgeschlafen?« Æringa streckte ihm eine dampfende Holzschale hin. Gierig setzte er sie an die Lippen und trank. Jeder Schluck brannte in seiner Kehle, aber der wunderbare Geschmack war den Schmerz wert. Ungefähr die Hälfte des Inhalts brachte er hinunter, ehe ihn Übelkeit überkam und er mit dankbarem Nicken die Schüssel zurückstellte. Als sein Blick den seines Falken kreuzte, glaubte er, in den Augen des Vogels einen Vorwurf zu sehen. Laggar hatte den Kopf schief gelegt und knilferte mit dem Schnabel.
»Ja, ich hol dir gleich dein Fleisch. Wart einen Augenblick.«
Er hörte Æringas helles Kichern.
»Ach, Kyrrispörr, du und dein Falke! Eyvindr Kelda sagt, er will mit dir sprechen, sobald du wieder auf den Beinen bist.«
»Ja. Erst Laggar«, erwiderte Kyrrispörr und kroch aus den Decken. Sofort ließ die Kälte des Vorfrühlings ihn zittern.
»Deine Sachen!« Æringa hatte plötzlich ein Bündel saubere Schurwollkleidung in den Armen. »Die stammen von meinem kleinen Bruder«, erklärte sie, während sie ihm mit mütterlicher Sorge beim Ankleiden half. Kyrrispörr war in ihrer Nähe merkwürdig zumute. Eine unbestimmte Aufregung wuchs in seinem Magen, jedes Mal, wenn ihre Finger beim Straffen des Kittels, beim Ordnen der Haare seine Haut berührten.
Er ließ sich von ihr zeigen, wo es rohes Fleisch gab, und schnitt es in kleine Streifen. Seine weichen Knie und das Kopfweh drängte er mit aller Macht zurück.
»Nun mach schon. Eyvindr wartet!«
»Kann er«, erklärte er schwach. »Laggar nicht.«
Wieder überkam ihn ein unbestimmtes Glücksgefühl, während er seinen Falken beim Fressen beobachtete. Anschließend machte er sich auf den Weg zum großen Zelt und schlug das Angebot der Æringa aus, ihn zu stützen. Auch wenn er alle paar Schritt innehalten und sich sammeln musste, auch wenn es ihm war, als müsse er sich jeden Augenblick übergeben – er war der Seimar Kyrrispörr Hæricson, der nach dem Tod seines Vaters die ganze Verantwortung und Pflicht des Sehers zu tragen hatte, und der ließ sich nicht wie ein Kind an der Hand seiner Mutter führen.
Die Kälte drang selbst durch sein dickes Schurwollgewand und ließ ihn zittern.
Eyvindr empfing ihn im Kreise einiger kräftiger, mit Schwertern umgürteter Männer. Sie saßen auf einem Rentierfell. An den verschlungenen Silbertauschierungen der Schwertgefäße, dem Fibelschmuck und der dezent verzierten Kleidung erkannte Kyrrispörr, dass es sich bei zweien von ihnen um wichtige Persönlichkeiten, wenn nicht gar um Anführer handelte.
»Setz dich, Seimar Kyrrispörr Hæricson. Dies sind mächtige Jarla. Und dort sitzt Hersir Jarnskegge, Mund und Ohr der Bœndi bei Þrándheim, den König Olafs Kriegszüge mit Missmut erfüllen.«
Kyrrispörr spürte, wie ihm das Blut vor Stolz in den Kopf stieg, dass Eyvindr Kelda ihn wie einen vollwertigen Seimann ansprach, senkte das Haupt und ließ sich nieder. Eyvindr ließ sich von einem Sklavenjungen ein silberbeschlagenes Horn reichen, hob es mit den Worten »Für ein gutes Jahr!« empor und ließ es kreisen. Erst, als jeder einen Schluck des Beerenweins genommen und Eyvind das Horn zurückgereicht hatte, begann der Meisterseher wieder zu sprechen.
»Kyrrispörr, du hast mir das Leben gerettet, so wie ich dir. Uns verbinden fortan starke Bande. Von deinem Vater habe ich viel gehört.« Er zählte einige Taten auf, von
Weitere Kostenlose Bücher