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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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einen Krug Wein von der Kommode und füllte zwei Becher. »Aber nun seid Ihr wieder hier, und alles wird gut!« Er reichte Philippa einen der Becher und ging dann zum Schreibtisch zurück.
    »Glaubt Ihr wirklich daran, Meister Lupian?« Bedächtig ließ sie ihre Blicke durch den Raum schweifen. Lupians Mantel hing über einem Stuhl, seine Schreibmappe lag ausgebreitet auf den Dielenbrettern. Daneben erkannte sie die Reste eines Abendessens. Der Schreiber schien sich in der Stube ihres Onkels ohne Bedenken häuslich eingerichtet zu haben.
    Wo, zum Teufel, steckten Katharina und Bernardi? Warum kamen sie nicht endlich?
    »Während der Unpäßlichkeit Eures verehrten Onkels ist eine Menge Schreibkram liegengeblieben. Ich muß noch einige Dokumente unterzeichnen, doch dann können wir uns unterhalten!«
    Philippa betrachtete den Wein in ihrem Becher. Im Licht des Kaminfeuers funkelten die dunkelroten Tropfen wie Blut. Ein Gefühl von Panik drohte sie zu übermannen. Dennoch fragte sie: »Darf ich fragen, mit welchem Namen Ihr die Schriftstücke unterzeichnet, Herr? Mit Lupian oder mit … Rottmann?«
    Lupians Gesicht versteinerte. Ein paar Momente starrte er Philippa an, so daß ihr Herz vor Aufregung wie rasend gegen die Rippen zu hämmern begann. Dann schritt er plötzlich an ihr vorüber zur Tür und stemmte den Riegel ins Eisen.
    »Was tut Ihr da, Lupian? Entriegelt auf der Stelle die Tür!«
    »Ich hatte damit gerechnet, daß Ihr eines Tages die Wahrheit herausfinden würdet, Jungfer von Bora«, erklärte der Schreiber betont höflich. »Allerdings hoffte ich, es würde mir noch ein wenig mehr Zeit bleiben, um Euch von der Notwendigkeit meines Auftrags zu überzeugen!«
    »Von welchem Auftrag sprecht Ihr? Dem Mord an der Lepperin oder Euren aberwitzigen Plänen, aus Wittenberg ein zweites Münster zu machen, nachdem Ihr Luther, Melanchthon und Bugenhagen ermordet habt?« Und euren eigenen Bruder, fügte Philippa in Gedanken hinzu, als ihr der tote Rauhfelder Dorfvorsteher einfiel. Die Lepperin hatte sich nicht zufällig in dem weitabgewandten Nest verkrochen. Nein, sie hatte bei ihrem eigenen Schwager Unterschlupf gesucht, dem Bruder eines gewissen geistlichen Herren, der nach dem Tod des Dorfvorstehers in Rauhfeld aufgetaucht und von den abergläubischen Bauern aufgrund seiner Ähnlichkeit mit dem Verstorbenen für einen Wiedergänger gehalten worden war.
    Philippa biß sich auf die Lippen. Warum waren ihr alle diese Zusammenhänge nicht früher klargeworden? Viel zu spät hatte sie das Mosaik zusammengesetzt und ein Bild von den schrecklichen Ereignissen gewonnen.
    Lupian lachte höhnisch auf. Er nahm ein Stilett vom Schreibtisch und prüfte mit der Kuppe seines Daumens die Schärfe der zierlichen Schneide. »Was versteht Ihr schon von göttlichen Zeichen? Oder von biblischer Prophetie? Ihr haltet Euch für klug, weil Ihr des Lateinischen und Griechischen kundig seid, und unnützen kleinen Mädchen Lesen und Rechnen beibringt. Doch im Grunde seid Ihr auch nur eine Krämerin wie Eure Tante, diese entlaufene Mönchshure!«
    Philippa wich in Richtung Tür zurück. Mit einer Mischung aus Faszination und Grauen verfolgte sie den Weg der messerscharfen Klinge in Lupians Hand. Sie mußte Zeit gewinnen, indem sie den Schreiber zum Reden brachte. »Wenn ich Euch richtig verstehe, seid Ihr also der Meinung, daß ein zweites Täuferreich … nicht untergehen würde?« fragte sie leise. Sie bemerkte, wie seine Augen triumphierend aufblitzten. Meine Angst macht ihn stärker, ging es ihr durch den Kopf. Schützend legte sie beide Arme vor die Brust. Sie fühlte sich elend und gedemütigt, doch sie durfte Lupian nicht zeigen, daß sie um den letzten Rest ihrer Selbstbeherrschung rang.
    »So wahr ich vor Euch stehe, Jungfer! Habt Ihr Euch jemals mit Zahlen und deren Mystik befaßt? Nein? Das dachte ich mir. Nachdem Gott den Menschen aus dem Paradies vertrieben hatte, sorgte er dafür, daß das Wissen um zukünftige Dinge von einer kleinen Schar Auserwählter weitergetragen und zur von ihm benannten Zeit verkündet wurde. Um das verborgene Wissen, die Gnosis, zu bewahren, verschlüsselte er es in Form von Zahlen, deren Bedeutung Spöttern und Ungläubigen fremd bleiben mußte. Die Juden kennen diese Art von Mystik seit Jahrhunderten, ihre Kabbala beruht auf nichts anderem. Das kommende Jahr wird die Errichtung eines neuen Jerusalems und die Vernichtung all derer sehen, die sich uns in den Weg stellen!«
    Philippa zuckte

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