Die Magistra
hier geschehen ist, würdet Ihr verstehen, was ich meine.«
Sie ergriff ihre Lampe und öffnete die Tür. »Die sonderbaren Hautausschläge und das Schweineblut in der Küche waren nur der Anfang. Vorgestern nach der Vesper ist am Marktplatz ein Haus abgebrannt!«
»Der Schuppen des Arztes, nicht wahr? Die Brandspuren sind noch deutlich zu sehen!«
»Heute früh, ehe der verfluchte Regen einsetzte, gruben zwei Stadtknechte die verkohlten Überreste einer Frau aus den Trümmern«, redete Roswitha weiter. »Eure Tante vermutet, daß es die ehemalige Schulmeisterin war, die in dem Feuer zu Tode kam. Das Weib war mit einem Handelsmann verheiratet, soll aber gleichzeitig eine Liebesbeziehung zum Armenarzt unterhalten haben. Und in der Stadt hatte sie verbreitet, sie sei von einer Mauer gefallen, um zu verbergen, daß sie … nun, Ihr wißt schon!«
Philippa erschauerte, als die kalte Zugluft des Korridors ihre Wangen traf. Sie hatte mit einigem gerechnet, nicht aber mit dem, was sie soeben erfahren hatte. Die Frau vom Markt, die Verschworene der alten Barle, war einst Schulmeisterin in Wittenberg gewesen. Und sie, Philippa, hatte ihr Amt übernommen, ohne zu ahnen, wen sie da vertrat. Warum hatte sie es nur immer wieder versäumt, nach ihrer Vorgängerin im Amt zu fragen? Doch wer in dieser Stadt hätte ihr eine ehrliche Antwort gegeben?
»Magister Bernardi hat mich gebeten, auf ihn und Melanchthon zu warten!« erklärte Philippa, als Roswitha sie durch die hallenden Gänge zu den Wohngemächern der Familie Luther trieb. »Ich werde keinen Schritt weitergehen!«
Ein Gewitter war aufgezogen. Durch die hohen Bleiglasfenster, die auf den ehemaligen Kreuzgang wiesen, zuckten in regelmäßigen Abständen grelle Blitze auf, die von mächtigem Donnergrollen untermalt wurden.
Roswitha blieb stehen. »Seit wann hört Ihr darauf, was der Magister meint? Der Diener, der mir die Nachricht Eurer Tante aushändigte, hat nichts von morgen oder Karfreitag gesagt. Er sagte: auf der Stelle!«
»Wenn du wüßtest, wie gleichgültig …«
»Ruhig Blut, mein Herz. Ich laufe rasch zum Tor und halte Ausschau, wo die Herren bleiben!« Laut stöhnend eilte die alte Frau den Weg zurück, den sie gekommen waren.
Philippa blieb allein vor dem Kreuzgang zurück. Durch die Fenster konnte sie erkennen, wie sich die Bäume im Wind bogen und Äste gegen das Glas drückten, als wollten sie ihr heimliche Worte zuraunen.
Entlang der Hauswand standen noch immer die Baugerüste der Dachdecker, Maurer und Zimmerleute. Besonders weit waren die Renovierungsarbeiten nicht gediehen. Allein vor den Räumen, in denen der Reformator arbeitete, waren die Gerüste verschwunden. Die Handwerker mußten sie erst vor kurzer Zeit abgebaut haben.
Widerstrebend ging Philippa weiter. Die Tür zur Studierstube ihres Onkels war nur angelehnt. Durch einen schmalen Spalt fielen Schatten auf die Holzdielen des Vorraumes, in dem Besucher und Bittsteller auf Einlaß zu warten pflegten.
Philippa fragte sich, ob ihre Tante nicht bereits ungeduldig in der Stube auf sie wartete. Sie blickte über die Schulter und verharrte lauschend. Plötzlich fiel ihr auf, wie still es im Haus war. Es roch jedoch nach feuchtem Tuch, gebrannten Mandeln, Moschus und Bienenwachs. Vorsichtig öffnete sie die angelehnte Tür und fand sich unversehens in der Stube einem hell flackernden Kaminfeuer gegenüber. Auf dem Marmorsims brannten sieben schwere Wachskerzen. Welch eine Verschwendung, ging es Philippa durch den Kopf.
Hinter dem Schreibtisch ihres Onkels saß eine schattenhafte Gestalt. Sie hielt den Kopf tief über einen Bogen Papier gebeugt. Das Kratzen einer Feder war zu hören.
Als Philippa sich dem Tisch näherte, hob die Gestalt den Kopf und starrte irritiert in das Licht der flackernden Kerzen. Es war Luthers Schreiber, Melchior Lupian.
»Ich hatte nicht erwartet, Euch hier anzutreffen«, sagte Philippa. »Wenn ich störe, warte ich vor der Tür. Meine Tante wünscht mich zu sprechen!«
»Nicht doch, meine Liebe!« Der Schreiber steckte seine Feder in ein Tintenfaß und sprang höflich auf. Wie gewöhnlich steckte sein schwerer Leib in einer dunklen Schaube aus Brokat, und auf dem kahlen Schädel saß ein samtenes Barett mit einer gestutzten Pfauenfeder. »Ihr habt uns allen im Hause große Sorgen bereitet!« Lupian lief an der Staffelei des Malers Cranach vorbei, auf welcher ein unfertiges Portrait des Hausherrn auf seine Vollendung wartete. Mit fahrigen Bewegungen ergriff er
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