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Die Magistra

Die Magistra

Titel: Die Magistra Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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mich zu ihrem Befehlshaber ernannt, damit ich sie vor dem Kaiser vertreten kann.«
    »Seit den Bauernkriegen eilt Freund Josel unermüdlich durch das Reich, bis hinab ins türkisch besetzte Ungarn«, pflichtete Capito ihm bei. »Wann immer Stimmen laut werden, welche die Juden ungeheurer Verbrechen beschuldigen, ist er zur Stelle, um sich die angeblichen Beweise ihrer Taten vorlegen zu lassen und den Gefangenen Mut zuzusprechen!«
    Philippa hatte bereits von dem diplomatischen Geschick des elsässischen Juden gehört. Ebenso bekannt war ihr, daß ausgerechnet ihr Onkel sich weigerte, Josel zu empfangen. Nicht einmal in schriftlicher Form wollte der Wittenberger sich für des Juden Sache verwenden.
    »Josel hat mir einen Brief anvertraut, den ich Doktor Luther persönlich übergeben werde, sobald ich im Frühling nach Kursachsen reise«, sagte Capito und klopfte entschlossen auf die Brusttasche seines mehrfach geflickten Wamses. »Doch nun entschuldigt mich, ich habe noch zu arbeiten!« Capito und Wibrandis nickten dem hageren Mann aufmunternd zu und traten durch die Bogentür in das Arbeitszimmer des Pfarrherrn.
    Bernardi brachte seinen Vetter zum Ausgang. Leise wechselten die beiden Männer einige Worte in hebräischer Sprache. Philippa spitzte die Ohren, verstand jedoch nichts. Auf der Schwelle drehte Josel sich noch einmal nach ihr um.
    »Mein Verwandter hat mir von Eurer Suche nach dem Mörder der jungen Wittenbergerin berichtet, Jungfer von Bora. Er macht sich Sorgen um Euer Wohlbefinden, das kann ich ihm nicht verübeln. Dennoch bin ich davon überzeugt, daß Ihr richtig handelt, wenn Ihr nicht kurz vor dem Ziel aufgebt. Eure Freundin würde es Euch danken!«
    Ehe Philippa reagieren konnte, war der Mann auch schon in der Dunkelheit verschwunden. Sie starrte ihm fröstelnd nach und überlegte, ob er bislang der einzige Mensch gewesen war, der die Lepperin als ihre Freundin bezeichnet hatte. Für alle anderen war sie in der Tat lediglich eine Magd, eine Gehilfin und zuletzt eine Verführte und Wiedertäuferin gewesen. Und nun eine Freundin? Vielleicht, doch wenn Philippa ehrlich war, ging es ihr schon lange nicht mehr nur darum, einer Ermordeten Gerechtigkeit zu verschaffen. Der Kreis, an dessen Anfang eine scheinbar sinnlose Tat gestanden hatte, war daran, sich zu schließen.
    »Capito wird in wenigen Wochen zu Religionsgesprächen nach Wittenberg reisen«, holte Bernardi sie jäh aus ihren Überlegungen. »Ich vermute jedoch, daß wir nicht solange warten können, nicht wahr?«
    »Wir?« Philippa lachte freudlos auf. »Vor dem Münster hatte ich noch den Eindruck, Ihr könntet Euch nicht rasch genug von mir trennen! Und nun?«
    Sie hatte noch mehr sagen, ihm noch mehr Vorwürfe machen wollen. Bernardi jedoch verschloß ihr die Lippen in einer Weise, die ihr fremd war, fremd und doch überaus aufregend. Sie fand, daß er wunderbar nach den herben Kräutern duftete, mit denen sie seine Schußverletzung behandelt hatte. Als er sie sanft vom Lehnstuhl hob und sie sein Herz durch den Stoff seines Rockes schlagen hörte, wußte sie, daß er sich nicht von ihr trennen wollte. Leise seufzend gab sie sich der Wärme seiner Umarmung hin.
    ***
    Der Regen peitschte über die Dächer, als Philippa und Bernardi etliche Tage später durch die aufgeweichten Gassen Wittenbergs dem Schwarzen Kloster entgegeneilten.
    Nach einem Achsenbruch am Vormittag war ihnen nichts weiter übriggeblieben, als ihren Reisewagen im Stall einer Herberge vor den Toren der Stadt zurückzulassen und zu Fuß weiterzuziehen. Bernardi hatte seinen Mantel ausgezogen und hielt ihn fürsorglich wie ein schützendes Tuch über Philippas Kopf. Die wohlmeinende Geste verhinderte indessen nicht, daß bald schon wahre Sturzbäche Philippas Schläfen hinunterrannen. Ihr Reisekleid klebte am Körper wie eine zweite Haut. Der Wolkenbruch hatte die groben Pflastersteine rutschig gemacht und den Boden zwischen den Fahrrinnen aufgeweicht.
    »Dort drüben, hinter dem Haus des Armenarztes, muß es erst vor kurzem gebrannt haben!« rief Bernardi ihr durch den Regen zu. Entsetzt folgte ihr Blick seinem ausgestreckten Zeigefinger und tatsächlich: Vor ihr ragten die verkohlten Überreste eines hölzernen Schuppens auf. In der hereinbrechenden Dunkelheit wirkten die geschwärzten Balken wie das Gerippe eines riesigen Fisches mit toten Augen.
    Philippa wischte sich über das Gesicht. Sie kannte das Haus, zu dem der abgebrannte Schuppen gehört hatte, auch wenn sie es

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