Die Maori-Prinzessin
P OVERTY B AY , D EZEMBER 1867
Die große Zeremonie stand unmittelbar bevor. Häuptling Rane Kanahau saß auf seinem Thron aus Palmenblättern und betrachtete zufrieden das geschäftige Treiben, mit dem die Einweihung seiner älteren Tochter vorbereitet wurde. Er selbst hatte den Tohunga-ta-moko, den Tätowierern, das Oko überreicht, jenes verzierte Holzkästchen, das die Farbpigmente aus Awheto und Ngarehu enthielt, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, damit das Moko unverwechselbar sein würde.
Die Tätowierer waren zwei alte Männer, die bereits ihm die Zeichen seiner Herkunft ins Gesicht und auf die Oberschenkel geschabt hatten. Diese unverwechselbaren Muster waren sein ganzer Stolz. An diesem Moko konnte jeder erkennen, dass er nicht nur ein Häuptling, sondern ein großer Herrscher war.
Dieser Tag war ein ganz besonderer. Wie gern hätte Kanahau einen Sohn gehabt, dem er den Thron hätte vererben können, aber die Erfüllung dieses Wunsches hatte der Gott der Fruchtbarkeit ihm und seiner Frau verweigert. Zwei Mädchen hatte er ihnen geschenkt. Nun galt Kanahaus ganze Hoffnung diesem älteren Kind, das einem Jungen beim Fischen und Jagen in nichts nachstand. Würde sie nicht wie eine Tochter aussehen, Häuptling Kanahau hätte sich in der Illusion wiegen können, einen Sohn gezeugt zu haben. Sie war wild und ungestüm. Eine echte Kriegerin.
Wenn er da nur an den Überfall der Feinde vor vielen Jahren dachte. Ahorangi war damals erst elf gewesen und hatte wie ein Mann gekämpft. Er war stolz auf ihren Mut, aber nun wurde es höchste Zeit, dass sie sich auf ihre fraulichen Pflichten besann. Deshalb sollte die Zeremonie am heutigen Tag gleich mit ihrer Eheschließung verbunden werden.
Hehu, der Bräutigam, war Ahorangis Freund seit Kindertagen. Als Sohn eines Kanahau treu ergebenen Häuptlings hatte er stets viel Zeit mit ihr verbracht. Die Wettkämpfe der beiden Kinder waren legendär. Wie Brüder hatten sie sich gemessen, ja, sich sogar die traditionellen Kämpfe mit dem Stock – Mann gegen Mann – geliefert. Dass Hehu mehr für die Prinzessin empfand, war deren Vater allerdings nicht entgangen. Der junge Mann war außer sich vor Freude gewesen, als Kanahau ihm vorgeschlagen hatte, seine Tochter am Tag der Tätowierung zu heiraten. Ahorangi hingegen hatte mit einem heftigen Zornausbruch reagiert. Sie wehrte sich mit Händen und Füßen dagegen, Ehefrau zu werden, doch ihr Vater hatte keinen Zweifel daran gelassen, dass die Heirat beschlossene Sache war. Seitdem lief seine Tochter mit finsterer Miene durch das Dorf. Keiner durfte sie ansprechen, und ihren Jugendfreund Hehu würdigte sie keines Blickes mehr. Der junge Mann tat dem Häuptling leid. Immer wieder suchte er Ahorangis Nähe und holte sich eine Abfuhr nach der anderen.
Kanahau stieß einen tiefen Seufzer aus, als sein Blick am abweisenden und stolzen Gesicht seiner Ältesten hängen blieb. Er liebte sie von ganzem Herzen, viel mehr als die um ein Jahr jüngere Harakeke, aber ihre Eigenwilligkeit bereitete ihm auch Sorgen. Würde der feinsinnige Hehu Herr über ihr wildes Wesen werden?
Was ihn jedoch weit mehr beunruhigte als ihr Widerstand gegen die Ehe war ihre offen geäußerte Abscheu vor dem Moko. Sie hatte gebeten und gebettelt, dass man ihr Gesicht mit den Zeichen ihrer Ahnen verschonen möge. Sie hätte es in Kauf genommen, dass man ihre Beine tätowierte, aber dann hätte niemand auf den ersten Blick ihre vornehme Herkunft erkennen können. Und diesem Zweck diente das Zeichen. Das Moko musste ihr Kinn sichtbar zieren.
Ich werde wie ein Mann mit einem Bart aussehen, hatte sie ihrem Vater entgegengeschleudert. Du wolltest doch immer ein Junge sein, hatte er ihr erwidert, aber das hatte sie nicht gelten lassen. Und was sie dann gesagt hatte, das beschäftigte Kanahau noch in diesem erhabenen Augenblick, in dem Ahorangi nur noch wenige Augenblicke von ihrer Einweihung trennten. Sie hatte ihn provozierend gefragt, warum die Engländerinnen kein Moko im Gesicht trügen. Und keinen Zweifel daran gelassen, dass die Pakeha in diesem Punkt zivilisierter seien als die Maori. Ihre Worte hatten Kanahau bis ins Mark getroffen, denn er vermochte keinerlei Vorzüge der Weißen seinem Volk gegenüber zu erkennen.
Kanahau atmete tief durch und versuchte, sich entspannt auf seinem Thron zurückzulehnen. Wovor hatte er Angst? Es konnte gar nichts mehr geschehen!
Die jungen Männer von seinem und Hehus Stamm machten sich bereits fertig,
Weitere Kostenlose Bücher