Die Mappe meines Urgrossvaters
stand auf, grüßte mich, wie sonst, und war um gar nichts anders, als er sich stets gegen mich benommen hatte. Er sagte mir nach einigen gewöhnlichen Worten, daß gestern sein Vetter Rudolph fort gereiset sei, daß er mich noch gesucht, aber nicht gefunden habe, und mir daher durch ihn die schönsten Grüße zum Abschiede sagen lasse. Er fügte dann noch hinzu, daß der junge Mann ein vortrefflicher Mensch sei, daß er sich freue, daß nun der Hader in der Verwandtschaft ein Ende habe, und daß, wenn der Jüngling in seiner Gesinnung so fort fahre, aus ihm ein einfacher, gutherziger und starker Mann hervorgehen könne. Ich pflichtete den Worten bei, wie sie auch in der That ganz der Wahrheit gemäß waren.
Von unsern andern Dingen sprach der Obrist kein Wort.
Nach einer Weile der Unterredung sagte ich, daß ich zu Margarita hinüber gehen müsse. Er stand auf, und ich beurlaubte mich. Es war mir zu allen Zeiten erlaubt gewesen, allein zu Margarita hinein zu gehen, und der Obrist hatte es nie so eingerichtet, daß dieses nicht geschehen durfte.
Ich ging durch den Gang zu ihr hinüber. Als ich die Thüre geöffnet hatte, sah ich sie an ihrem Tischchen stehen, und sie schien mich erwartet zu haben. Sie war manchmal, wenn sie wußte, daß ich zu ihrem Vater hinein gegangen sei, voll Freude herüber gekommen; heute war das nicht der Fall gewesen. Sie war recht schön gekleidet, aber das Gewand war ein anderes, als gestern. Auf dem Wandtische neben der Thür lag noch der welke Strauß Feldblumen, den sie gestern gepflückt hatte, und seine Stengel waren noch mit demselben Feldgrase gebunden, das sie gestern genommen hatte. Ich erkannte, daß er einige Blumen enthielt, die in unserem Kräuterbuche noch nicht waren, oder die wir schlecht gepreßt hatten.
Da ich bis zu ihr vorwärts gekommen war, und gegen ihre Augen geblickt hatte, sagte sie: »Ich habe euch heute erwartet, und da muß ich euch die Worte sagen, die ich mir in der Nacht gedacht habe, und die euch zu wissen nothwendig sind. Ich habe recht gerne eure Gattin werden gewollt, der Vater hat euch auch in hohem Grade lieb; - aber da nun alles anders geworden ist, muß ich euch sagen, daß es nicht mehr geschehen kann.«
Ich sah sie an. Da ich in das Haghaus hinauf ging, wußte ich noch nicht, was ich sagen werde, nur die Empfindung war mir klar, daß ich heute recht bald, so bald als möglich hinauf gehen müsse; aber als Margarita die obigen Worte gesagt hatte, erschrack ich sehr. Ich nahm sie bei der Hand, die sie mir gerne ließ, und führte sie gegen das Fenster vorwärts. Sie setzte sich auf das gepolsterte Bänklein, das in der Fenstervertiefung steht, nieder, weil sie dachte, daß ich mit ihr reden wolle. Ich setzte mich auf das andere Bänklein, ihr gegenüber, und redete zu ihr. Ich redete sehr lange - aber was ich sagte, weiß ich nicht mehr, und kann es nicht in dieses Buch einschreiben. Was sie antwortete, weiß ich auch nicht mehr; aber das weiß ich, daß es nicht so war, wie ich wollte, und daß sie ihren Entschluß nicht änderte. Dann schwieg sie ganz, und wie ich eifriger und hastiger fort redete, verstummte sie immer mehr, und als ich endlich sehr heftig und dringend wurde, sagte sie plötzlich die Worte: »Da muß ich den Vater um Hülfe rufen.«
Auf diese Worte sprang ich auf, und sagte: »Nein, das dürfet ihr nicht thun, das sollt ihr nicht nöthig haben - es ist schon alles gut, gut, gut.«
Und da war es, wo eine solche Vergessenheit aller Dinge des Himmels und der Erde über mich kam!! - - Ich wendete mich um, ging zur Thür hinaus, gewann durch das Thor das Freie, und eilte nach meinem Hause hinunter. - -
Es war nun alles gleich. Ich wollte die Dinge der Welt zerreißen, vernichten, strafen. - - -
Ich habe es im Anfange dieses Buches eingeschrieben, wie ich in den Kirmwald zu einer Birke hinaufgeeilt bin, die mir in den Gedanken gekommen war, und wie mir der Obrist an jene Stelle nach gegangen war, und mit mir in dem Walde geredet hatte. - - -
Es ist eine sehr lasterhafte That gewesen, die ich habe begehen gewollt, und sie hat meine Seele tief erschreckt. - Ich habe sonst meine Geschäfte ruhig gethan, und weiß nicht, wie ich dazu gekommen bin, daß ein solcher Gedanke in meinem Haupte entstehen konnte. - Ich weiß es heute noch nicht. - - -
Ich muß mein Amt mit noch größerem Eifer verwalten, ich muß in die tiefsten Dinge desselben nieder steigen, und muß die größten Schwierigkeiten und die kleinsten Pflichten desselben
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