Eiswein (German Edition)
Christoph
»Wer war denn die heute Nachmittag?«
Die Stimme seiner Mutter klang bissig. Christoph klappte den Ordner zu, mit dessen Inhalt er sich während der vergangenen zwei Stunden intensiv beschäftigt hatte.
»Wen meinst du?«, fragte er zurück, deutlich um einen gelangweilten Ton bemüht.
»Na die, mit der du dich so lange unterhalten hast, draußen am Tor.«
»Ach die. Eine Kundin. Hat sich nach unserem Eiswein erkundigt.«
»Nach unserem Eiswein? Ach. Um diese Jahreszeit? Und seit wann fertigen wir unsere Kunden am Tor ab?« Margarete Orthler schüttelte den Kopf. »Hast du was mit der?«
Christoph schaute überrascht auf. Seine Mutter stand mit vor der Brust verschränkten Armen im Türrahmen und fixierte ihn mit zusammengekniffenen Augen.
»Lass besser die Finger von der«, fuhr sie fort, als er nicht antwortete. »Sonst stehst du irgendwann wieder so dumm da wie letztes Mal.«
Der junge Mann trommelte ungeduldig mit den Fingern auf dem schwarzen Deckel des Ordners vor sich.
»Ich hab nix mit der«, gab er unwirsch zurück. »Sie ist nur eine Kundin. Wollte mal vorbeischauen, weil sie in der Gegend war.«
»Und erkundigt sich im September nach unserem Eiswein! Wär’ ja noch schöner, wenn wir von der letzten Lese was übrig hätten.«
Christoph schüttelte nur den Kopf.
»Auch so eine Ökotante, nehme ich an«, probierte sie es weiter.
Christoph ignorierte ihren provozierenden Tonfall. Er hatte die Hände über dem Deckel des schwarzen Ordners gefaltet. Sein Blick wanderte über den Schreibtisch hinweg zu seiner Mutter, die immer noch abwartend in der Tür stand.
»Was willst du?«, fragte er schließlich unwirsch.
»Dass du dich um das Gut und nicht um irgendwelche Weiber kümmerst«, antwortete sie. »Dein Vater …«
»Spar uns diese Leier bitte, ich kenne sie in- und auswendig.«
Margarete Orthler zuckte die Schultern und setzte ein beleidigtes Gesicht auf.
»Wo ist die her?«, fragte sie trotzig.
»Bayerischer Wald.« Er stand auf. »Ich hab noch was zu erledigen.«
Sie wich zurück, als er auf sie zukam, ließ ihn vorbeigehen, sah ihm nach, wie er in den Hof hinaus und zu seinem Jeep lief. Gleich darauf verschwand das silbergraue Gefährt durch die Torausfahrt.
»Dieser Jeep«, grollte Margarete Orthler, bevor sie sich umdrehte und ins Haus zurückging. »Auch so eine Spinnerei. Wenn dein Vater noch lebte …«
Samstagvormittag
»Jemand hat versucht, ihr irgendetwas aus dem Kopf zu schlagen.«
Hauptkommissarin Annemarie Zeller erhob sich aus dem feuchten Moos, in das sie sich neben die weibliche Leiche gekniet hatte.
Walter Braunagel bemühte sich, ruhig zu bleiben. Er hatte nicht verhindern können, dass seine Chefin mit zum Tatort kam, weil Kommissar Norbert Schwarz an diesem Vormittag einen wichtigen privaten Termin hatte.
»Und was?«
Annemarie Zeller streifte ihre Einmalhandschuhe ab und steckte sie in einen der mitgebrachten Plastikbeutel. Ohne sich nach ihrem Kollegen umzudrehen, antwortete sie:
»Das herauszufinden ist Ihr Job, Walter Braunagel.«
»Ach tatsächlich?«
Annemarie Zeller fuhr herum. Braunagel fing einen wütenden Blick ein, den er jedoch ignorierte.
»Wie kommen Sie darauf, dass ihr jemand etwas aus dem Kopf schlagen wollte?«, beharrte er auf einer Erklärung.
»Sieht man das nicht?«
Kommissar Braunagel warf einen schnellen Blick auf die Leiche. Mehr ertrug er nicht. Er räusperte sich und wartete, bis der Fotograf mit seinen Aufnahmen fertig war und seine Ausrüstung zusammenpackte.
Annemarie Zeller war zu den Kollegen hinübergegangen, die den Bereich um die Tote mit rot-weißem Trassierband gesichert hatten. Braunagel sah, dass sie etwas in ihr Handy tippte und vermutete, sie organisierte einen Leichentransport und sprach anschließend mit dem Staatsanwalt. Auch diese Anrufe zählten zu seinen Aufgaben, aber er verkniff sich einen Kommentar.
Ihm war völlig klar, warum sie selber anrief. Vor allem bei Staatsanwalt Dr. Schiller.
Die Kommissarin schälte sich aus ihrem Schutzanzug. Sie reichte ihn an einen der Polizisten weiter, die noch mit dem Trassierband beschäftigt waren, und strich Jacke und Hose ihres dunkelblauen Anzugs glatt. Walter Braunagel beobachtete sie dabei kopfschüttelnd. Den Schutzanzug hatte sie seiner Meinung nach in erster Linie übergezogen, um ihr tadelloses Outfit zu schonen, und erst in zweiter, um keine Spuren am Tatort zu hinterlassen.
Es war nicht fair, so über sie zu denken, das wusste er. Aber manchmal
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