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Die Masken der Wahrheit

Die Masken der Wahrheit

Titel: Die Masken der Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barry Unsworth
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Ausrede vor mir selbst.
       Um meine Verwandlung vollständig zu machen, mußte ich Brendans verdrecktes und übelriechendes Wams und Untergewand anziehen, und er mußte in mein geistliches Habit gesteckt werden. Eine andere Möglichkeit gab es nicht, es sei denn, wir benutzten die exotischen Kostümteile auf dem Karren. Es war die Frau, die Brendan entkleidete und ihm mein Priestergewand anzog. Die anderen scheuten sich davor; sie wollten nicht einmal dabei zuschauen, obwohl sie doch Männer waren, für die eine Verkleidung etwas Alltägliches darstellte. Ich aber schaute zu, und die Frau verfuhr behende und behutsam mit Brendan, und ihr Gesicht zeigte einen Ausdruck von Freundlichkeit und Güte.
       Als sie fertig war, lag Brendan in seinem Priestergewand da, ein Mann, der im Leben ein schlimmer Sünder und voller weltlicher Scherze gewesen war. Und ich stand dort in der Kleidung eines toten Mimen. Doch nun entbrannte plötzlich ein Streit zwischen uns. Martin hatte sich dafür ausgesprochen, den Toten auf dem Karren mit uns zu führen. »Brendan ist ohne Vergebung seiner Sünden gestorben«, sagte er. »Wir müssen ihn in geweihter Erde begraben.«
       »Der Klepper ist so schon langsam genug«, meinte Stephen. »Die Straßen sind schlecht, und bald fängt’s zu schneien an. Überdies haben wir wegen des gebrochenen Rades schon genug Zeit verloren. Denk daran – man hat uns nach Durham geschickt, damit wir dort zu Weihnachten vor dem Vetter unserer Herrin auftreten. Wir dürfen nicht zu spät kommen, sonst verlieren wir alle Gunst. In einer Woche ist der erste Weihnachtstag. Nach meiner Schätzung werden wir Durham in frühestens fünf Tagen erreichen. Sollen wir fünf Tage mit einem Toten reisen?«
       »Der Priester wird eine Bezahlung verlangen«, gab Straw zu bedenken. Mit jenem sonderbaren Ausdruck fieberhaften Eifers blickte er reihum in unsere Gesichter. Später machte ich die Erfahrung, daß er nie für längere Zeit in einem bestimmten Gemütszustand verharrte, sondern durch irgendwelche Antriebe seiner Einbildungskraft geleitet wurde und mal düsterer, mal ausgelassener Stimmung war. »Wir könnten Brendan hier im Wald vergraben«, sagte er. »Hier, zwischen den dunklen Bäumen. Hier würde er gut schlafen.« 
      »Die Toten schlafen überall gut«, sagte Margaret. Sie schaute zu mir herüber, und in ihrem Blick lag Herausforderung, jedoch keine Arglist. »Unser Priesterlein könnte ja ein paar Worte für ihn sprechen.« »Margaret hat bei dieser Sache kein Stimmrecht«, meldete Martin sich zu Wort. »Sie gehört nicht zur Truppe.« Er sagte diese Worte direkt zu Stephen, dessen Mädchen sie ja war, und ich hörte – wie gewiß auch die anderen – das Zittern in seiner Stimme, aus dem ein Gefühl sprach, das er kaum zu beherrschen vermochte. Er hatte die rechte Hand zur Faust geballt; die Knöchel waren weiß. »Du würdest ihn hierlassen?« sagte er. Für mich, der ich Martin damals noch nicht kannte, kam dieser Ausbruch von Leidenschaft sehr unvermittelt und heftig; man hätte glauben können, daß nicht nur sein Plan in Frage gestellt wurde, was Brendan betraf, sondern eine für ihn kostbare und geschätzte Sicht der Welt.
       Keiner antwortete sofort, soviel Wildheit sprach aus ihm. Dann schien Stephen eine Erwiderung geben zu wollen, doch Martin ergriff wieder das Wort und sprach mit einer Stimme, die tiefer klang als zuvor. »Er war wie wir alle«, sagte er. »Als er noch unter den Lebenden weilte, saß er nie an seinem eigenen Herd oder aß an seinem eigenen Tisch. Topf und Krug braucht er nun nicht mehr, doch in der kühlen Erde soll er eine ordentliche Heimstätte haben, schön tief, und endlich auch ein Dach über dem Kopf.«
       »Brendan hatte seine Gewohnheiten; das hätte er selbst nicht abgestritten. Und zuviel Bier zu trinken war eine davon«, sagte Tobias. »Doch ob betrunken oder nüchtern, er spielte den Teufelsnarren besser als irgendwer sonst.«
       »Was willst du denn benutzen, um ihm ein Grab zu schaufeln?« Martins Stimme hatte jetzt einen schnippischen Ton. »Adams Spaten und Evas Rechen, die aus dünnem Metall und Holz sind? Der Frost der letzten Tage hat den Boden steinhart gefroren. Wir würden uns bis zur Dunkelheit abmühen, ein Grab auszuheben, und trotzdem wär’s nicht tief genug, um die Krähen davon abzuhalten, Brendan die Augen auszupicken. «
       »Wir haben Messer«, sagte Stephen.
       Er hatte damit gemeint, zum Aufhacken des Erdbodens,

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