Die Maurin
Bastard auf unserem Thron gesehen und ihn im Geiste bereits mit der Tochter der christlichen Könige vermählt! Wenn sich Hassan endlich wieder auf seine maurischen Wurzeln besinnt, kann das für meinen Sohn und seine Rückkehr in die Alhambra nur von Vorteil sein. Du weißt ja, dass Boabdil nur deswegen im Exil lebt, weil diese Isabel de Solís vor einigen Jahren einen Anschlag auf ihn geplant hatte …«
Zahra nickte. Jeder in Granada wusste das – und auch, dass Hassan Isabel nie deswegen zur Rechenschaft gezogen und seither überdies selbst einige Mordanschläge auf seinen Sohn angezettelt hatte.
»Meint Ihr, dass es jetzt Krieg geben wird?«, fragte Zahra bang.
»Wer weiß? Aber vielleicht kann dieser Konflikt auch ganz andere Entwicklungen in Gang setzen.« Aischa blickte Zahra bedeutungsvoll an. »Der Allmächtige ist weise. Ich werde ihn bitten, dass er mir die Kraft und die nötige Weitsicht gibt, meine Schritte in die richtige Richtung zu lenken, auf dass schon bald der Einzige auf dem Thron Granadas sitzt, dem er zusteht: mein Erstgeborener!«
Sie machte eine Geste, die Zahra zeigte, dass sie für heute entlassen war. Trotzdem zögerte sie zu gehen. In ihrem Kopf schwirrten noch so viele Fragen, Zweifel und Ängste … Aber Aischa ließ sie einfach stehen und zog sich in ihr Schlafgemach zurück. Seufzend legte Zahra ihren Schleier und den Hidschab an. Vor der Tür traf sie auf Kafur. Der schwergewichtige Eunuch hielt Aischa gemeinsam mit zwei weiteren Haremswächtern unwillkommene Besucher vom Leib und warnte sie rechtzeitig vor Hassans Nahen.
»Nanu, Sternchen«, rief er erstaunt. »Sollst du etwa schon nach Hause gehen?«
»Scheint so …« Zahra zuckte mit den Achseln.
Kafur nickte den anderen Wächtern zu. »Ich begleite sie.«
Für Mädchen aus guter Familie schickte es sich nicht, allein aus dem Haus zu gehen. Zahra war erleichtert, dass Kafur selbst mit ihr kam, obwohl der lange Weg für den gichtgeplagten Eunuchen recht anstrengend war. Doch gerade nach diesem Tag sehnte sie sich nach Wärme, Schutz und Geborgenheit – und niemand am Hof strahlte so viel davon aus wie der gute, alte Kafur. Sie folgte ihm aus dem Palast und durch die engen Gassen Granadas. Als sie ihr Elternhaus erreicht hatten, klopfte Zahra dreimal kurz hintereinander an die schwere Holztür. Beinahe augenblicklich öffnete ihr Tamu. Die stämmige Berberin, eine Frau mit unverwüstlicher Gesundheit und einem von tiefen Falten durchzogenen Gesicht, war ihre älteste Dienerin. Wie stets brachte Zahras Rückkehr ihre alten Augen zum Leuchten.
»Friede sei mit Euch, liebes Kind!« Sie verbeugte sich und fuhr sich mit der linken Hand grüßend über Brust und Stirn. »Wie froh ich bin, Euch wohlbehalten wieder hier zu sehen!«
»Friede auch mit dir, Tamu«, erwiderte Zahra und nickte Kafur zum Abschied dankend zu. »Wir sehen uns dann nächste Woche wieder!«
Tamu schloss die Haustür, und sie standen allein in dem L-förmigen Eingangsbereich, der typisch für arabische Häuser war: Selbst wenn die Tür geöffnet war, konnte niemand von der Straße ins Haus oder in den Patio sehen, so dass die Frauen vor den Blicken Fremder geschützt waren.
»Eure Mutter wird sich freuen, dass Ihr schon zurück seid«, sagte die gute Alte. »Die Familie hat sich gerade im Patio zum Essen niedergelassen. Zum ersten Mal seit Tagen sind die Temperaturen dort dank der auffrischenden Brise wieder erträglich!«
Zahra nickte und ließ sich von Tamu ihren Niqab und den Hidschab abnehmen. Als Zahra ihr langes, schwarzes, lockiges Haar offen über die Schultern fiel, atmete sie auf. Ihr war, als hätte Tamu außer ihrer Kopfbedeckung auch einen Teil der Ängste von ihr genommen. Sie folgte der Dienerin zu der Schüssel mit frischem Wasser, die diese bereitgestellt hatte, damit sie sich vor dem Essen die Hände waschen und den Mund ausspülen konnte, wie es bei den Muslimen vor und nach den Mahlzeiten Sitte war. Zahra streifte die Ärmel ihrer Tunika hoch, wusch sich die Hände mit der mild nach Sandelholz duftenden Seife und trocknete sie sorgfältig mit dem Handtuch ab, das Tamu ihr reichte.
Plötzlich hielt die alte Berberin ihre Hände fest. »Aber Engelchen! Wo ist denn Euer Schutzring?«
Verwirrt starrte Zahra auf die rechte Hand und drehte und wendete sie, als müsse der Ring so zwangsläufig irgendwo auftauchen.
»Ihr … habt ihn doch nicht etwa verloren?«
»Ich weiß nicht«, stotterte Zahra und suchte nun auch noch die
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