DIE MEROWINGER: Letzte Säule des Imperiums
hin. »Da liegen die Feinde, die wir bestraft haben. Mit denen da drinnen aber ist es etwas anderes. Da leben viele, die wir jetzt brauchen. Die kennen nämlich Geheimnisse, die uns noch unbekannt sind. Wie man gut leben kann und reich wird, ohne dauernd seine Haut zu riskieren. Nicht einmal die Götter wissen so viel, von denen erfahren wir das nicht. Deshalb müssen wir die Leute da drinnen am Leben erhalten. Wir dürfen sie nicht ausrauben oder foltern oder erniedrigen, auch nicht ihre Frauen misshandeln und schänden und ihre Kinder auf Spieße stecken. Dann werden wir nichts von ihnen erfahren, und unser Sieg ist einen Dreck wert!«
Die Männer wurden zunehmend unruhiger. Grollende Stimmen erhoben sich.
»Warum sind wir denn hergekommen?«
»Ich will meinen Lohn! Das war harte Arbeit!«
»Wozu hab ich mein Blut vergossen? Soll ich nicht mal einen Spaß und ein bisschen Gewinn haben?«
»Meinen Bruder hab ich verloren! Und was bekomme ich für ihn?«
»Bist du jetzt Prediger bei den Christianern geworden?«
»Gestern Abend hast du noch anders geredet!«
»So ist es! ›Nehmt ihnen alles!‹, hast du gesagt!«
»Was ist los mit dir, König?«, rief der alte, immer streitbare Droc. »Hast sonst doch niemanden geschont und nie genug kriegen können!«
Mit einem Axthieb in die Luft verschaffte sich Chlodwig wieder Aufmerksamkeit.
»Begreifst du nicht, Droc, dass das hier etwas anderes ist? Du hast recht, wenn du sagst, dass ich niemanden schone und nie genug kriegen kann! Daran hat sich nichts geändert! Es reicht mir aber nicht mehr, ein Gut zu plündern und mit der Beute zu verschwinden. Ich will mehr, ich will alles – so war es gemeint! Ich habe euch hierhergeführt, weil ich die Stadt und die Römerprovinzen besitzen will. Und mit meinem Heil hab ich euch den Sieg gebracht. Vergesst nicht, der Ort, den ein König der Merowinger erobert – der gehört ihm, er ist sein Eigentum! Das weiß ich von meinem Vater, so haben es alle meine Ahnen gehalten. Sobald ich durch das Tor dort einziehe, bin ich Herr dieser Stadt – und wer in ihr Feuer legt, schadet mir! Wer meine neuen Untertanen beraubt und schändet und umbringt, schadet mir! Und wer mir schadet, der wird es büßen! Habt ihr verstanden? Ist das in eure Schädel gedrungen? Oder muss ich es erst hineinschlagen – mit einem Hieb dieser Axt?«
Die zornige Rede wurde mit ebenso zornigem Schweigen quittiert. Ungute, trotzige Blicke trafen den König. Die Reihen der übermüdeten, mit Wunden bedeckten, reizbaren Kämpfer schienen bedrohlich zusammenzurücken.
Chlodwig begriff, dass er zu weit gegangen war.
»Damit habe ich nicht gesagt, dass ihr keine Beute machen sollt!«, fuhr er einlenkend fort. »Ihr habt recht, eure Arbeit verdient ihren Lohn. Aber wenn ihr von Haus zu Haus geht, nehmt nur so viel, wie sie entbehren können. Lasst ihnen genug zum Leben! Und wenn ich sagte: ›Bringt die Männer nicht um!‹, dann meine ich damit nur die freien, besonders die vornehmen. Die sind es nämlich, die wir brauchen. Auch ihre Frauen lasst in Ruhe – haltet euch an die Mägde, mit denen macht, was ihr wollt! Und wenn ihr unbedingt jemanden totschlagen oder verprügeln müsst, nehmt euch einen Sklaven vor. Aber seid nicht zu verschwenderisch … auch die Sklaven werden gebraucht. Ihr wollt doch künftig wie Herren leben – wer soll euch dienen? Das war es, was ich euch sagen wollte«, schloss er rasch, wobei er die Axt hinter den Gürtel steckte. »Wir rücken jetzt ein und marschieren zuerst zum Palast. Dann besetzen wir alle wichtigen Punkte, besonders die Mauer und die Türme und Tore. Syagrius ist natürlich geflohen, aber wir wissen nicht, ob er nicht noch Reserven hat. Man muss damit rechnen …«
In diesem Augenblick schrien gleich mehrere auf und deuteten aufgeregt nach der Festungsmauer.
»Feuer! Sie haben Feuer gelegt!«
Wie es weitergeht, erfahren Sie in:
Robert Gordian
DIE MEROWINGER
Schwerter der Barbaren
Zweiter Roman
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