Die Mitternachtsrose: Mittsommerhochzeit (German Edition)
beantwortete sie sich die Frage selbst. Sonst hätte er sie nicht plötzlich mit diesem entsetzten Gesichtsausdruck von sich gestoßen. Ihm war offensichtlich im letzten Moment klar geworden, auf was er sich da einließ. Wie sonst ließ sich sein Verhalten erklären?
Sie runzelte die Stirn. Im Grunde war es lächerlich, sich so stark von ihm angezogen zu fühlen. Sie kannte ihn doch gar nicht! Darum sollte sie lieber versuchen, ihn zu vergessen – schon um ihrer selbst willen. Denn wenn herauskäme, dass sie sich als Angestellte bei Hofe mit einem Gast der Königsfamilie eingelassen hatte, würde sie das ganz sicher ihren Job kosten. Außerdem passte ein Mann – ganz gleich, um wen es sich handelte – nicht in ihre Zukunftspläne.
Michel Lejeune hatte die Wahl aus einer großen Flut an Bewerbungen. Eine echte Chance besaß nur, wer sich irgendwie aus der Masse hervorhob. Ein internationaler Skandal mochte genau das bewirken, würde aber die Entscheidung gewiss nicht zu ihren Gunsten ausfallen lassen.
Konzentrier dich einfach auf deine Arbeit und vergiss Henrik Albrektson, sagte Noelle zu sich selbst. Du hättest schon einmal um ein Haar deine Träume für einen Mann geopfert. Lass dir die Sache mit Felix eine Lehre sein.
Sie straffte die Schultern und verließ den Balkon. Zeit, zur Arbeit zu gehen. Nach einem Blick in den großen Garderobenspiegel an der Wand gegenüber ihrem Bett nickte sie zufrieden. Die etwas blasse junge Frau mit dem herzförmigen Gesicht und den kaum zu bändigenden Locken war die echte Noelle Rosenblad, die schlichte Jeans und Pullover bevorzugte und sich aus Make-up und Schmuck nichts machte.
Die Noelle, die Henrik kennengelernt hatte, war nur ein Trugbild, sie existierte im Grunde überhaupt nicht.
Und es war besser, es dabei zu belassen.
Immer zwei Stufen auf einmal nehmend, eilte Noelle die Treppe hinunter. Wenn sie sich nicht beeilte, würde sie zu spät bei ihrer Arbeit erscheinen, und das konnte sie sich in ihrer augenblicklichen Situation wirklich nicht erlauben.
Sie durchquerte gerade den langen Korridor, der zur Straße hinausführte, als sich am Ende des Gangs eine Wohnungstür öffnete. Es war Lisbet Östberg, Noelles Vermieterin. Obwohl sie erst seit ein paar Monaten hier wohnte, hatte Noelle bereits ein freundschaftliches, fast schon familiäres Verhältnis zu der älteren Dame entwickelt, die sie stark an die Haushälterin ihrer Eltern erinnerte.
“
Hej!
Warte bitte kurz einen Moment, Kindchen”, rief Lisbet und winkte mit einem zartblauen Umschlag. “Hier, den hat der Postbote gestern wohl versehentlich in meinen Briefkasten geworfen.” Sie lächelte geheimnisvoll. “Er kommt aus Frankreich.”
Sofort fing Noelles Herz an, heftig zu klopfen. Sie kannte niemanden in Frankreich. Niemanden – außer Michel Lejeune.
Mit zitternden Fingern nahm sie den Umschlag entgegen und riss ihn auf. Das Schreiben stammte tatsächlich aus Lejeunes Büro. Von nervöser Unruhe ergriffen, überflog sie Zeile für Zeile.
“Und?”, fragte Lisbet, die Noelles großen Traum kannte. “Ist es das, was ich denke?”
Noelle nickte strahlend. “Eine Einladung zu einem persönlichen Gespräch! Stell dir vor: Sie wollen mich kennenlernen! Ich soll in der Woche nach der königlichen Hochzeit nach Frankreich kommen.”
Lisbet ergriff ihre Hände. “Oh, wie wunderbar! Ich freu mich so für dich, Kindchen!”
Auch Noelle freute sich – und wie! Sie konnte es kaum glauben. Endlich gelangte ihr großes Ziel in Reichweite!
Doch sie durfte sich nicht zu früh freuen. Sie musste Lejeune von ihren Fähigkeiten überzeugen, ihm beweisen, dass sie genau die Mitarbeiterin war, nach der er suchte.
Aber wie? Sie wusste, dass sie gut war. Große Erfolge konnte sie jedoch bislang nicht vorweisen. Wenn sie es aber schaffte, dass ihre Designvorschläge bei der Herstellung der königlichen Hochzeitstorte berücksichtig wurden …
“Danke, Lisbet”, sagte sie, faltete den Brief säuberlich zusammen und steckte ihn in ihre Hosentasche.
Lachend winkte die ältere Frau ihr nach, als sie aus dem Haus stürmte und sich auf ihren Motorroller schwang.
Jetzt durfte einfach nichts mehr schiefgehen. Sie musste sich Henrik Albrektson aus dem Kopf schlagen – je eher, desto besser.
“Also, dann verbleiben wir so.” Noelle atmete tief durch. “Ich werde meinen Entwurf Ihren Wünschen entsprechend umarbeiten, und wir treffen uns dann wieder, um das Ergebnis zu besprechen. Einverstanden?”
“In
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