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Die Morde des Herrn ABC

Die Morde des Herrn ABC

Titel: Die Morde des Herrn ABC Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Agatha Christie
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das Zimmer unberührt geblieben. Alte, brüchige Leintücher im Bett – ein Stoß abgetragener Unterwäsche in einem Kasten – Kochrezepte in einer Schublade – ein Buch, in Packpapier eingeschlagen: The Green Oasis – ein Paar neue Strümpfe, unsäglich rührend in ihrem billigen Glanz – ein ziemlich angeschlagener und oft geleimter Meißner Porzellanschäfer und ein dito blau und gelb getupfter Hund – ein schwarzer Regenmantel und eine Wolljacke, die auf Kleiderbügeln hingen… das waren die weltlichen Besitztümer der verstorbenen Alice Ascher.
    Wenn irgendwelche persönlichen Papiere vorhanden gewesen waren, dann hatte die Polizei sie wahrscheinlich mitgenommen.
    «Pauvre femme», murmelte Poirot. «Kommen Sie, Hastings, es gibt hier nichts für uns zu tun.»
    Als wir wieder im Freien standen, zögerte Poirot eine Minute lang; dann überquerte er die Straße. Fast genau gegenüber von Mrs. Aschers Laden war ein Obst- und Gemüsegeschäft.
    Poirot gab mir leise einige Verhaltensmaßregeln, dann trat er ins Innere des Ladens. Nach ein, zwei Minuten ging ich ihm nach. Er war gerade dabei, einen Salatkopf zu erstehen. Ich kaufte ein Pfund Erdbeeren.
    Poirot unterhielt sich angeregt mit der dicken Frau, die ihn bediente.
    «Gerade hier gegenüber ist doch dieser Mord geschehen, nicht wahr? Eine entsetzliche Sache! Sie müssen sich unsagbar aufgeregt haben!»
    Die dicke Frau war es offensichtlich müde, über diesen Mord zu sprechen. Vermutlich hatte sie den ganzen Tag nichts anderes getan. So bemerkte sie nur:
    «Es wäre gut, wenn die Gaffer da draußen endlich gehen wollten. Was gibt es denn schon zu sehen, möchte ich wissen!»
    «Ja, gestern Abend war das natürlich etwas ganz anderes», stimmte Poirot ihr zu. «Möglicherweise haben Sie ja sogar den Mörder hineingehen sehen – ein großer, blonder Mann mit einem Bart, ein Russe – wenn ich recht gehört habe.»
    «Was?!» Die Frau sah ihn scharf an. «Ein Russe war es?»
    «Ich glaube, die Polizei hat ihn bereits verhaftet.»
    «Was Sie nicht sagen!» Die Frau war nun plötzlich sehr gesprächig. «Ein Ausländer?»
    «Mais oui. Und da dachte ich eben, er wäre Ihnen vielleicht gestern aufgefallen.»
    «Ja, sehen Sie, ich habe nicht viel Zeit, zum Fenster hinauszusehen, das können Sie mir glauben. Am Abend haben wir am meisten zu tun, und da gehen sowieso immer viele Leute vorbei, wenn sie von der Arbeit kommen. Ein großer Blonder mit einem Bart…? Nein, so einen habe ich meines Wissens nicht gesehen.»
    Hier hatte ich mich einzumischen.
    «Entschuldigen Sie», sprach ich Poirot an, «aber ich glaube, dass man Sie da nicht richtig informiert hat. Mir wurde der Mann klein und dunkel geschildert.»
    Woraufhin sich eine lebhafte Diskussion entspann, an welcher sich die dicke Frau, ihr schmächtiger Mann und ein kleiner Lehrjunge im Stimmbruch eifrig beteiligten. Nicht weniger als vier kleine, dunkle Männer waren beobachtet worden, und der gicksende Knabe versicherte, auch einen großen Blonden gesehen zu haben, der aber keinen Bart gehabt habe, wie er bedauernd hinzufügte.
    Endlich hatten wir unsere Einkäufe getätigt und verließen das Geschäft, ohne unsere Falschmeldungen richtig zu stellen.
    «Was war eigentlich der Zweck des Ganzen?», fragte ich Poirot ein wenig vorwurfsvoll.
    «Parbleu! Ich wollte wissen, welche Chance ein Fremder hatte, ungesehen, unbeobachtet in das gegenüberliegende Geschäft zu gelangen!»
    «Hätten Sie das nicht ganz einfach fragen können – ohne dieses Lügengespinst?»
    «Nein, mon ami! Wenn ich nur ‹ganz einfach gefragt› hätte, wie Sie sich ausdrücken, dann hätte ich überhaupt keine Antwort bekommen. Sie selber sind doch Engländer, aber Sie scheinen trotzdem nicht zu wissen, wie Ihre Landsleute auf eine direkte Frage reagieren, nämlich unweigerlich mit Misstrauen und einer sich daraus logischerweise entwickelnden Zurückhaltung. Wenn ich diese Leute um eine Auskunft gebeten hätte, dann wären sie verschlossen wie Austern gewesen. Aber durch eine Behauptung (noch dazu eine so ausgefallene und unwahrscheinliche) und durch Ihren Widerspruch wurden die Zungen unverzüglich gelöst. Jetzt wissen wir, dass die fragliche Zeit jene war, während welcher ‹am meisten zu tun› ist, das heißt, dass jeder mit seiner Arbeit beschäftigt war und dass viele Leute die Straße entlanggingen. Unser Mörder hat den Zeitpunkt recht geschickt gewählt, Hastings.»
    Er sah mich an und setzte mit ehrlichem Tadel

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