Die Morde des Herrn ABC
Die konnte sich schon wehren! Aber eben – der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht. Wieder und wieder habe sie, Mrs. Fowler, zu ihrer Nachbarin gesagt: «Eines Tages wird der Kerl sie noch umbringen, denken Sie dann an meine Worte!» Und so war es jetzt gekommen, nicht wahr? Und sie, Mrs. Fowler, war da nebenan gewesen und hatte nichts davon bemerkt.
Poirot nutzte eine Atempause der Erzählerin, um eine Frage einzuwerfen.
«Hat Mrs. Ascher vielleicht jemals merkwürdige Briefe bekommen? Briefe, die nicht ordentlich unterschrieben waren, sondern nur mit ABC oder so?»
Bedauernd musste Mrs. Fowler sich vor dieser Frage geschlagen bekennen.
«Ich weiß genau, was Sie meinen – anonyme Briefe nennt man das –, meistens voll von Ausdrücken – die einen erröten ließen, wenn man sie laut lesen müsste. Ja, also das weiß ich nicht, ob Franz Ascher jemals solche Briefe geschrieben hat. Mrs. Ascher hat mir nie etwas davon gesagt… Wie meinen Sie? Ein Fahrplan? Ein ABC? Nein, so einen habe ich nie bei ihr gesehen, und ich bin sicher, dass Mrs. Ascher es mir erzählt hätte, wenn man ihr so etwas ins Haus geschickt hätte. Diese Nichte von ihr hätte doch bei ihr logieren können. Er wird sie noch umbringen, habe ich ihr immer gesagt, und jetzt hat er sie umgebracht! ‹Man weiß nie, wozu ein Betrunkener imstande ist, und dieser Mord ist der beste Beweis dafür›, sage ich.»
«Aber niemand hat diesen Ascher in das Geschäft gehen sehen, nicht wahr?», fragte Poirot.
Mrs. Fowler schnob verächtlich durch die Nase.
«Natürlich hat er sich nicht blicken lassen!»
Wie Mr. Ascher das Geschäft betreten sollte, ohne sich blicken zu lassen, fand sie zu erklären nicht der Mühe wert.
Sie stellte fest, dass es keinen Hintereingang zu dem Haus gebe und dass Ascher allen Anwohnern wenigstens vom Sehen her gut bekannt gewesen sei.
«Aber er wollte nicht dafür hängen», erklärte sie, «und deshalb hat er sich gut versteckt.»
Poirot hielt die Konversation noch so lange in Fluss, bis er sicher war, dass Mrs. Fowler alles, was sie wusste, nicht nur einmal, sondern wiederholt gesagt hatte; dann beendete er dieses Interview, indem er das versprochene Honorar auszahlte.
«Ziemlich leicht verdiente fünf Pfund», bemerkte ich, als wir wieder auf der Straße standen.
«Ja, eigentlich schon.»
«Glauben Sie, dass die Frau mehr weiß, als sie uns gesagt hat?»
«Mein Freund, wir sind in der eigenartigen Lage, nicht zu wissen, was wir fragen sollen. Wir sind wie kleine Kinder, die im Dunkeln cache-cache spielen. Mit ausgestreckten Händen tasten wir herum. Mrs. Fowler hat uns alles gesagt, was sie zu wissen glaubt – und als Dreingabe hat sie noch ein paar Vermutungen geliefert. Dennoch kann ihre Aussage sich in Zukunft als nützlich erweisen. Und in diese Zukunft habe ich die fünf Pfund investiert.»
Mir erschien diese Antwort ziemlich dunkel, aber in diesem Augenblick begegneten wir Inspektor Glen.
7
I nspektor Glen sah mürrisch aus. Er hatte, soviel ich dem Gespräch entnehmen konnte, den Nachmittag damit verbracht, eine vollständige Liste der Personen aufzustellen, die den Tabakladen am gestrigen Abend betreten hatten.
«Und niemand hat niemanden gesehen, nicht wahr?», fragte Poirot.
«O doch, doch», seufzte Glen. «Drei große Männer mit verschlagenem Gesichtsausdruck – vier kleine Männer mit schwarzen Schnurrbärten – drei dicke Männer – lauter Unbekannte, wenn ich meinen Augenzeugen glauben soll, lauter Fremde mit unheilvollen Gesichtern! Mich wundert nur, dass niemand eine maskierte Bande mit gezückten Revolvern gesehen hat, wenn wir schon dabei sind!»
Poirot lächelte mitleidig.
«Behauptet niemand, Mr. Ascher gesehen zu haben?»
«Niemand. Und das ist ein weiterer Pluspunkt für ihn. Ich habe soeben mit dem Chefinspektor gesprochen und ihm gesagt, dass meiner Ansicht nach Scotland Yard eingreifen sollte. Ich glaube nicht, dass wir es mit einem Lokalverbrechen zu tun haben.»
«Darin stimme ich Ihnen bei», sagte Poirot ernst.
Der Inspektor sah ihn fast Hilfe suchend an.
«Wissen Sie, Monsieur Poirot, das ist eine ekelhafte Sache… eine ganz ekelhafte Sache… und sie gefällt mir nicht…»
Ehe wir nach London zurückfuhren, hatten wir noch zwei weitere Unterredungen.
Die erste mit Mr. James Partridge. Mr. Partridge war der letzte Mensch, der Mrs. Ascher lebend gesehen hatte. Er war als Kunde um halb sechs Uhr in ihrem Laden gewesen.
Mr. Partridge war ein kleiner,
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