Geisterblues
1
»Guten Morgen, Fran.«
»Morgen, Tallulah. Wie geht es Sir Edward?«
Tallulah lächelte bekümmert. »Ach, er ist noch immer tot.«
Nicht ansatzweise überrascht von ihrer Antwort nickte ich. Tallulahs Vorfahren waren Zigeuner und sie selbst ein Medium. Schon vor einigen Wochen hatte sie mir erzählt, dass Sir Edward schon seit mehreren Jahrhunderten nicht mehr unter den Lebenden weilte. Was ihn jedoch nicht davon abhielt, ihr Galan zu sein; allerdings fehlte mir der Mumm, sie zu fragen, wie sich eine Liebesbeziehung mit einem Geist genau gestaltete.
Während ich an der Reihe von Wohnwagen entlangspazierte, die den Schaustellern des Gothic-Marktes als Unterkünfte dienten, sann ich darüber nach, dass ich mich in der kurzen Zeit hier ziemlich gut angepasst hatte.
»Guten Morgen, Francesca.«
»Guten Morgen, Kurt.« Ich konnte es selbst kaum fassen, aber es lag erst zwei Monate zurück, dass meine Mutter mich ungeachtet meiner wüsten Proteste nach Europa geschleift hatte, wo ich das kommende halbe Jahr mir ihr verbringen sollte, damit mein Vater in Ruhe seine neue Trophäenfrau »beschnuppern« konnte. Noch unglaublicher war allerdings, dass ich eine eigenartige Kameradschaft zu den Schaustellern des Gothic-Markts entwickelt hatte … dabei konnte man sich ein bizarreres Völkchen kaum vorstellen.
»Ach, Fran, du bist es.« Eine dünne Frau mit pinkfarbener Igelfrisur erschien hinter dem großen, blonden Kurt in der Wohnwagentür (auf dem Markt hielt sich hartnäckig das Gerücht, dass sowohl Kurt als auch sein Bruder Karl ein Techtelmechtel mit Absinthe hatten).
»Ja, ich bin es. Guten Morgen, Absinthe.« Ich bedachte sie mit einem Lächeln, das nicht von Herzen kam, und eilte hastig weiter, bevor sie noch mehr sagen konnte.
»Warte eine Sekunde! Ich will mir dir reden …«
»Tut mir leid, ich muss Tesla füttern. Vielleicht später!«, rief ich ihr über meine Schulter zu, dabei verwünschte ich sie insgeheim für den sauertöpfischen Blick, den sie in meine Richtung abfeuerte. Das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, mir den Zorn der Inhaberin des Marktes zuzuziehen. Trotzdem würde ich mich auf gar keinen Fall ein weiteres Mal von ihr in die Zange nehmen lassen. Seit sie das mit meiner besonderen Begabung herausgefunden hatte, bedrängte sie mich ständig, mit einer Gedankenlesenummer aufzutreten … wozu mich keine zehn Pferde bringen würden.
»
Hej
, Fran.«
»
God morgon
«, antwortete ich höflich. Da wir jetzt in Schweden waren, hatte ich beschlossen, mir zumindest ein paar Brocken der Sprache anzueignen. Tibolt stand mit Muskelshirt und Trainingshose bekleidet draußen vor seinem Wohnwagen und machte ein paar Dehnübungen vor seinem Morgenlauf. Meine Füße wollten irgendwie nicht weiter, und so blieb ich notgedrungen stehen. »Ähm.
Hur mår du? Allt väl
?«
Tibolt lächelte, und ich schwöre, dass die Vögel plötzlich lauter zwitscherten. Hinter mir hörte ich ein lautes Keuchen, dann hastige Schritte, die in unsere Richtung kamen. »Mir geht es gut. Alles ist in bester Ordnung. Und dein Schwedisch macht beachtliche Fortschritte.«
»
Tack
«, bedankte ich mich und versuchte, meine innere Fran am Jauchzen zu hindern, was sie immer tat, wenn sie Tibolt erblickte. »Was habt ihr für die Show heute Abend geplant?«
Neben mir kam Imogen mit verstrubbeltem Haar, komplett ungeschminktem Gesicht und einem Pappbecher voll Milchkaffee schlitternd zum Stehen.
»Guten Morgen, Fran«, haspelte sie, ohne mich auch nur anzusehen. Da sie neben Soren und Ben mein bester Kumpel hier war, machte ich mir nichts daraus. Außerdem wusste ich, dass sie nichts dafür konnte. Alle Frauen des Gothic-Marktes schienen unter Tibolts Bann zu stehen, und Imogen bildete keine Ausnahme. »Guten Morgen, Tibolt. Ist heute nicht ein ganz zauberhafter Tag?«, flötete sie.
»Ja, offenbar hat sich der Regen endlich verzogen. Es dürfte heute Abend großer Andrang herrschen.« An mich gewandt fügte er hinzu: »Meines Wissens führen wir heute die Schwertschluck-Nummer auf.«
»Ooohh«, machte Imogen so atemlos, dass es wie ein glückseliger Seufzer klang.
»Da wir gerade davon sprechen …« Tibolt legte den Kopf schräg und musterte mich mehrere Sekunden lang, bevor er schließlich nickte. »Du nimmst heute Abend doch am Zirkel deiner Mutter teil, nicht wahr?«
»Ja, sie möchte, dass ich dabei bin. Wieso fragst du?«
»Das ist gut.« Er schaute an uns vorbei und kurz lenkte ihn der Anblick einer der
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