Die Mütze
daß er die Mütze erhalten hatte. Daß Pjotr Nikolaijewitsch Lukin persönlich ihm diese Mütze ins Krankenhaus gebracht, lange an seinem Bett gesessen und von seinen Kriegserlebnissen erzählt hatte. Diese großherzige Tat hob sein Ansehen unter den Schriftstellern. Er sei, wenn auch KGB-Mann, kein böser Mensch, ganz anders als die anderen. Gewiß, wenn er den Befehl bekäme, jemanden an die Wand zu stellen, so würde er ihn an die Wand stellen. Aber aus freien Stücken, aus eigener Initiative, würde er nie jemandem schaden, ganz im Gegenteil, immer nur Gutes tun, wenn sich die Gelegenheit dazu böte.
Efim teilte ein mittelgroßes Zweibett-Krankenzimmer mit einem alten Mann, der sich bereits auf dem Wege der Besserung befand und bei meinem Erscheinen hinausging. Efims Kopf war immer noch verbunden, man sah nur die Augen, den Mund und die Nase mit dem eingeführten und mit einem Pflaster festgeklebten Kunststoffröhrchen. Ein zweites Röhrchen, das mit einem an der Decke hängenden Gefäß verbunden war, war mit einer Mullbinde an der Handwurzel seiner Rechten befestigt. Ich hatte geglaubt, Efim sei völlig gelähmt, aber nun sah ich, daß er die linke Hand bewegen konnte, denn er streichelte die Rentiermütze, die auf seiner Brust lag. Da ich nicht wußte, womit ich ihn unterhalten könnte, erzählte ich zunächst von dem Schachturnier, das der von ihm bewunderte Großmeister Spasskij gewonnen hatte. Da ich kein Zeichen des Interesses für das Turnier bei ihm bemerken konnte, versuchte ich es mit unserem Hausverwalter, der sein Büro auf Beteiligungsbasis an Prostituierte vermietete.
Efim hörte höflich zu, aber in seinen Augen glaubte ich einen stummen Vorwurf und die Frage zu lesen, weshalb ich ihm diesen nichtigen Klatsch erzählte, der so gar keine Beziehung zu jenem erhabenen Übergang hätte, auf den er sich möglicherweise vorbereitete.
Ich war beschämt und stockte, schaffte aber den Absprung nicht und erzählte nun irgendeinen hoffnungslosen Unsinn über Margaret Thatcher und Neil Kinnock, eine Geschichte übrigens, die ich in diesem Moment erfand. Schließlich fühlte ich, daß alle meine Anstrengungen in dem Kranken nichts als den Wunsch weckten, sich von ihnen zu erholen, und faßte den Entschluß, mich zu verabschieden.
»Also«, sagte ich mit einer unerträglich falschen Stimme, »also, mein Guter, jetzt hast du genug krankgespielt. Nächstes Mal sehen wir uns bei dir zu Hause, rauchen eine Zigarette und machen ein Spielchen.«
Ich berührte seine Schulter und ging zur Tür, aber als ich den Türgriff in der Hand hatte, hörte ich hinter mir mühsame, gequälte Laute. Ich drehte mich erschrocken um und sah, daß Efim mich mit dem Zeigefinger der gesunden linken Hand zu sich winkte.
»Mmmmm«, muhte er und tippte mit dem Finger gegen die Mütze.
»Soll ich sie auf den Nachttisch legen?« fragte ich.
»Mmmmmm«, wiederholte er und winkte mit der Hand ab. Als er meine Hilflosigkeit merkte, tippte er wieder gegen die Mütze und streckte mir zwei gespreizte Finger entgegen.
»Du meinst, du hast jetzt zwei Mützen ?«
Darauf muhte er nicht, sondern heulte auf und winkte gereizt mit der Hand. Es war deutlich, daß meine Begriffsstutzigkeit ihm auf die Nerven ging und daß er mir unbedingt etwas Wichtiges sagen wollte.
»Mmmm! Mmmm! Mmmm!« entrang sich ihm der hilflose Schrei seiner Seele, und die zwei halbgekrümmten Finger, wie zwei Kommas, schwankten vor meinen Augen hin und her.
»Ach so!« rief ich aus, erstaunt über meinen eigenen Einfall. »Du willst sagen, du hast gesiegt?«
»Mmmm!« muhte er befriedigt und ließ die Hand auf die Mütze fallen.
Im Hinausgehen sah ich mich noch einmal um. Efim lag still und ruhig da, seine Augen waren geschlossen, er drückte die Mütze an die Brust und lächelte zufrieden vor sich hin.
In derselben Nacht starb er.
Efim wurde nach der letzten Kategorie beerdigt, ohne Festakt im Zentralhaus der Literatur und ohne Musik. Es war Ende März. Am Himmel stand eine trübe Sonne, und unter dem an den Mauern der Leichenhalle hochgeschaufelten dunklen Schnee rieselten zaghafte Bächlein hervor. Das Tor war weit geöffnet. Der Beerdigungsautobus hatte sich verspätet: Baranow, Fischkin, Mylnikow und ich weiß nicht mehr, wer noch, drängten sich um den Sarg. Am Kopfende standen Kukuscha im schwarzen Hut mit kurzem schwarzem Schleier und Tischka, der die Hände auf dem Rücken verschränkt hatte und in der einen (ich habe extra darauf geachtet) nicht die
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