Malory 09 - Der geheimnisvolle Verführer
Prolog
Außer Haus, um seiner Familie einen Besuch abzustatten.
Boyd Anderson verabscheute diese Worte. Und dennoch stimmten sie. Jedes Mal, wenn er in den letzten acht Jahren nach Bridgeport in Connecticut gesegelt war, um einen seiner vier älteren Brüder anzutreffen, hatte er vor verschlossenen Türen gestanden. Jedes Mal hatte er aufs Neue die Segel setzen müssen, um sie zu finden.
Jeder von Boyds Brüdern hatte es bis zum Kapitän gebracht. Früher hatte es keiner von ihnen erwarten können, endlich wieder Kurs auf den heimatlichen Hafen zu nehmen, wo Georgina, ihre einzige Schwester, auf sie wartete.
Doch Georgina hatte einen Engländer geheiratet, Lord James Malory, und lebte nun auf der anderen Seite des Atlantiks. Wenn Boyd sie sehen wollte, musste er eine lange Überfahrt in Kauf nehmen. Aber das war nur einer der vielen Gründe, warum er mit dem Gedanken spielte, sich ebenfalls in London häuslich niederzulassen.
Wenngleich die Würfel noch nicht endgültig gefallen waren, gab es dennoch eine Reihe von Argumenten, die für einen Umzug auf die Britische Insel sprachen. Allen voran die Tatsache, dass der Anderson-Clan mittlerweile häufiger nach London als nach Hause segelte. Hinzu kam, dass Georgina nicht die Einzige war, die in die Malory-Familie eingeheiratet hatte. Boyds älterer Bruder Warren hatte seine Geschwister in großes Erstaunen versetzt, als er mit Lady Amy Malory vor den Altar getreten war. Wenn Warren nicht gemeinsam mit seiner Familie irgendwo in der Weltgeschichte herumsegelte, waren sie in London, damit die Kinder ihre schier unzähligen Cousins und Cousinen, Onkel und Tanten, Großonkel und Großtanten und natürlich die Großeltern kennenlernen konnten.
Sesshaft zu werden und Wurzeln zu schlagen wäre indes eine große Veränderung für Boyd. Es hieße, der See ein für alle Mal den Rücken zuzuwenden, und das, wo er seit seinem achtzehnten Lebensjahr segelte. Mittlerweile zählte er vierunddreißig Lenze und lebte seit fünfzehn Jahren auf seinem Schiff, der Oceanus. Niemand ahnte, wie sehr er sich nach einem Zuhause sehnte, das nicht schaukelte und schlingerte.
Doch es gab noch weitere Gründe, die Boyd zu dieser Entscheidung bewogen. Das Eheglück von Georgina und Warren schürte nach und nach den Wunsch in ihm, ebenfalls in den Hafen der Ehe einzulaufen. Das hieß jedoch nicht, dass er wie die beiden anderen unbedingt in die Malory-Familie einheiraten wollte. Selbst dann nicht, wenn es in ihren Reihen ein weiteres attraktives Frauenzimmer im heiratsfähigen Alter gegeben hätte. Auf gar keinen Fall. Er hatte keine Lust, sich dem geballten Widerstand des Clans auszusetzen. Fest stand jedoch, dass er sich eine Gemahlin an seiner Seite wünschte. Er war bereit. Wenn die Verbindung zu den Malorys ihn etwas gelehrt hatte, dann, dass eine Ehe etwas Wundervolles sein konnte. Doch anders als seine Schwester und Warren hatte er einfach noch nicht die richtige Frau gefunden.
Die kurzen, nichtssagenden Liebschaften mit unzähligen Frauen jedoch hatte er gründlich satt. Sein Bruder Drew mochte damit glücklich sein, dass in jedem Hafen eine andere Braut auf ihn wartete, aber Drew war und blieb nun einmal ein unverbesserlicher Charmeur.
So leicht war es für Boyd längst nicht. Weder behagte es ihm, Versprechungen zu machen, die er nicht halten konnte, noch traf er seine Entscheidungen schnell – und schon gar nicht, wenn es darum ging, die zukünftige Mrs. Boyd Anderson auszuwählen. Der Gedanke, seine Gefühle zwischen verschiedenen Frauenzimmern aufzuteilen, behagte ihm andererseits auch nicht. Konnte es sein, dass er ein hoffnungsloser Romantiker war? Er wusste es nicht, spürte lediglich, dass es ihm im Gegensatz zu Drew keine Befriedigung verschaffte, wenn er mehreren Damen gleichzeitig den Hof machte. Im Grunde seines Herzens sehnte sich Boyd nach einer einzigen Frau, mit der er den Rest seines Lebens verbringen konnte.
Ihm war bewusst, dass er von diesem Ziel noch meilenweit entfernt war. Wegen der vielen Zeit, die er auf See verbrachte, war er gezwungen, seine Liebeleien kurz und eher unpersönlich zu halten. Er müsste mehr Zeit mit einer Frau verbringen, zu der er sich hingezogen fühlte, um sie besser kennenzulernen. Aber wie sollte er das tun, wenn sein Schiff immer nur für wenige Tage in einem Hafen vor Anker ging? Wenn er erst einmal in London wohnte, würde er alle Zeit der Welt haben, die Frau zu finden, die auf ihn wartete. Sie war irgendwo da draußen, das
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