Die Mutter
wenn ich dich nicht störe.«
Gavin schüttelte den Kopf, sodass sein Pferdeschwanz in seinem Nacken schaukelte. »Ich würde mich über Gesellschaft freuen.«
Über Gesellschaft freuen? Scheiße, Gavin, toller Spruch. Die Frau setzte sich und stellte ihre Tasche auf dem Boden ab. »Ich bin Julia. Freut mich, dich kennenzulernen.« »Gavin.« Er lächelte und versuchte dabei, so viele ihrer Gesichtszüge wie möglich zu erkennen, ohne unhöflich zu erscheinen.
Julia sah aus wie Anfang vierzig, und Gavin war normalerweise gut darin, das Alter von Leuten zu schätzen. Ihr blondes Haar trug sie modisch kurz, obwohl es aussah, als habe sie es eigenhändig geschnitten. Man hätte sie als attraktiv für ihr Alter bezeichnen können, wären da nicht ihr kaltes Gesicht und ihre seltsam dunklen Augen gewesen. Gavin lächelte innerlich. Diese Frau war perfekt.
Sie erinnerte ihn außerdem an ein Mädchen, das er einst gekannt hatte, obwohl Julia älter war und mehr Persönlichkeit hatte.
»Sieht gut aus«, sagte sie und nickte in Richtung seines Tellers. »Kannst du das empfehlen?« »Absolut. Ist aber nicht gut fürs Herz.« Er spießte ein Stück
Pfannkuchen auf, das vor Sirup, Eigelb und Butter triefte, um seine Aussage zu unterstreichen.
»Wen interessiert das?«, fragte Julia. »Man lebt nur einmal, richtig?«
Gavin nickte. »Ich mag deine Einstellung.«
Als die Kellnerin vorbeikam, bestellte Julia das Gleiche wie Gavin, aber ohne Ei.
»Also, Gavin, was machst du so?«
Na, dann mal los, dachte Gavin.
»Ich bin Künstler. Maler. Hauptsächlich Öl.«
Julia lächelte, aber ihrem Gesicht fehlte unverkennbar die Wärme, was Gavins Interesse nur umso mehr steigerte.
»Wirklich? Wie aufregend. Hast du ein paar von deinen Werken dabei?«
»Draußen in meinem Bus. Ich bin auf dem Weg nach Sydney. Ich hoffe, dass ich da eine Galerie eröffnen kann. Ich habe schon ein paar interessierte Käufer gefunden, mal sehen, wie es läuft. Es ist nicht gerade konventionelle Kunst.«
»Klingt, als ob du bald berühmt wirst. Hast du mal diesen Film gesehen, Basquiat?«
Gavin nickte. »Ich bezweifle, dass ich je so erfolgreich sein werde wie er. Ich meine, ich wäre natürlich gerne reich und all das, aber, du weißt schon, ich mache Kunst - sie ist mein Leben, das Geld ist mir nicht so wichtig.«
Gavin wusste, dass sich das nach einem Haufen Mist anhörte, aber es war die Wahrheit.
»Warst du schon mal in Sydney?«, fragte Julia, und das Licht im Restaurant warf Schatten auf ihr Gesicht.
Gott, wie sehr Gavin sie malen wollte. Er konnte ein Leben voller Schmerz in ihr sehen, aber er wollte nicht zu aufdringlich sein. Er wollte sie nicht verschrecken. Obwohl sie ihn, erinnerte er sich dann, ja zuerst angesprochen hatte.
»Ich war im letzten Jahr öfter dort, um mich mit Leuten zu treffen und eine Wohnung zu finden, die ich mir leisten kann. Und du? Woher kommst du?«
»Melbourne.«
»Fährst du nach Sydney oder woanders hin?«
»Ich bin auf dem Weg nach Sydney, aber ich hab kein Auto | ich trampe.«
Gavin war überrascht. Landstreicher trampten. Teenager, die von zu Hause ausrissen, trampten. Irre Hippie-Kannibalen aus Texas trampten. Frauen wie Julia waren für die Straße nicht geschaffen. Weshalb, um alles in der Welt, lebte sie so und setzte sich dieser Gefahr aus?
Gavins Herz raste; sein Mund war trocken.
Diese Frau könnte sein Meisterwerk werden. Er konnte sich genau vorstellen, was die Käufer in Sydney sagen würden, wenn er ihnen ein Ölgemälde von ihr präsentierte. Verdammt, es konnte genauso gut werden wie die Mona Lisa.
Träum weiter, Kumpel.
Nun, sie war auf jeden Fall so verführerisch wie Da Vincis Dame.
Die Kellnerin brachte Julias Frühstück. Julia bedankte sich und begann es gierig hinunterzuschlingen.
Dann sah sie, dass Gavin sie beobachtete, schluckte und sagte peinlich berührt: »Entschuldigung, ich bin echt ein Schwein.«
»Nicht doch«, erwiderte Gavin. »Ich sehe dir sehr gerne beim Essen zu.«
Oh nein!
Julia nahm einen Schluck Kaffee. »Siehst du irgendetwas in mir?«
Gavin betrachtete ihr Gesicht eindringlich. »Dürfte ich dich malen?«, fragte er. Er hörte sich wie ein Teenager an, der ein hübsches Mädchen fragte, ob er mal ihre Titten anfassen durfte. Er war ein 28 Jahre alter Mann, aber Scheiße, Frauen hatten noch immer diese Wirkung auf ihn.
Er schob seinen Teller mit dem halb verspeisten Frühstück von sich - er war zu aufgeregt, um weiterzuessen - und fragte: »Soll
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