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Imperator

Imperator

Titel: Imperator Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Baxter
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I
    Es war ein schwerer Tag, an dem Bricas Kind, Cunovics Neffe, sich ins Leben quälte, ein schwerer, langer Tag der Geburt und des Todes. Und es war der Tag, wie Cunovic später glaubte, an dem die eisigen Finger des Webers an den Fäden des Zeitteppichs zu zupfen begannen.
    Die Wehen setzten im hellen Schein der Mittagssonne ein, aber der Wintertag war kurz, und die Tortur zog sich bis in die Dunkelheit hinein. Cunovic saß die ganze Zeit mit seinem Bruder Ban, dem Vater des Kindes, und der übrigen Familie dabei. Im verrauchten Halbdunkel unter dem dicken Strohdach drängten sich Bricas Mutter Sula und die Frauen der Familie in der Tageshälfte des Hauses, wo sie Brica beruhigende Worte zuflüsterten und ihr die Stirn mit warmen Tüchern abwischten. Die wachsamen Gesichter ihrer Angehörigen ähnelten eingefangenen Monden, die innerhalb der runden Mauern des Hauses hingen, dachte Cunovic versonnen. Doch als sich die schwierige Geburt immer mehr in die Länge zog, wuchs Bans stumme Sorge, und selbst die Kinder kamen ins Grübeln.
    Der Druide war der einzige Fremde, der Einzige, der nicht durch Blutsbande mit dem ungeborenen Kind
verwandt war, ein dünner Mann mit einem leichten, singenden Akzent, wie man ihn seinen Worten nach auf Mona sprach, jener im Westen gelegenen Insel der Gebete und Studien, wo er zur Welt gekommen zu sein behauptete. Jetzt wanderte er im Haus umher und intonierte dabei einen unablässigen Sprechgesang; seine halb geschlossenen Augen bewegten sich unruhig. Er war niemandem eine Hilfe, dachte Cunovic missmutig.
    Als Erster verlor der alte Nectovelin, Cunovics Großvater, die Geduld. Mit einem Knurren kam er auf die Beine, ein Berg aus Muskeln und Fett, und durchquerte die Hütte. Sein schwerer Lederumhang – er roch nach Blut, Schweiß und Fett, nach Hunden, Pferden und Vieh – streifte Cunovic, und er humpelte, wobei er sein linkes Bein deutlich schonte; angeblich handelte es sich um eine Verletzung aus dem Krieg gegen Caesar vor fünfzig Jahren. Er schob den ledernen Türvorhang beiseite und marschierte hinaus. Die anderen Männer, die stumm in der Nachthälfte des Hauses gesessen hatten, erhoben sich steifbeinig und folgten Nectovelin einer nach dem anderen.
    Als Ban ebenfalls aufstand, seufzte Cunovic und schloss sich ihm an. Nectovelin war alt; er würde der Urgroßvater des Kindes sein, das in dieser Nacht zur Welt kommen sollte. Aber Cunovics ganzes Leben lang hatte Nectovelin mit seiner Größe, seiner Kraft und seinem Vermächtnis von jugendlichem Kampfesmut die Familie geführt, und das erst recht seit dem Tod seines einzigen Sohnes, des Vaters von Cunovic und Ban.
So war es auch in dieser Nacht: Wenn Nectovelin voranging, folgten ihm die anderen.
    Die Nacht draußen war frisch und wolkenlos, die Sterne wie Knochensplitter. Die Männer standen in kleinen Gruppen beisammen und unterhielten sich mit leiser Stimme; einige von ihnen kauten Rindenstücke. Der Dampf ihres Atems legte sich wie ein Helm um ihre Köpfe. Die Hunde, die in dieser Nacht nicht ins Haus durften, zerrten an ihren Leinen und versuchten winselnd, zu den Männern zu gelangen. Trotz der eisigen Kälte lag eine schwere Feuchtigkeit in der Luft; dies war ein mooriges Gebiet.
    Cunovic erspähte seinen Bruder ein wenig abseits von den anderen, am Rand des Grabens um die kleine Gruppe dicht beieinanderstehender Häuser. Er ging zu ihm hinüber. Reif knirschte unter den Ledersohlen seiner Schuhe.
    Die Brüder schauten in die Stille hinaus. Die kleine Gemeinschaft, die sich Banna nannte, befand sich auf einem Höhenzug mit Blick nach Süden über ein steilwandiges, bewaldetes Tal. Es war eine mondlose Nacht, aber das Sternenlicht funkelte auf dem Wasser des Flusses am Fuß der Felswand, und Cunovics Blick schweifte über die sinnlich wogenden, dunklen Hügel weiter südlich. Hier war das Volk der Briganten zu Hause. Morgens sah man Rauchfahnen von Häusern aufsteigen, die eine Landschaft voller Menschen und deren Vieh sprenkelten. Sie lebten schon sehr lange hier, wie man an den verwitterten Grabhügeln inmitten uralter, verwachsener Gehölze sah, die sich an diesem
Rand der Felswand drängten. Doch nun war kein Licht zu sehen, denn die Häuser hielten ihre Helligkeit und Wärme im Innern wie geschlossene Münder.
    Cunovic wartete, bis sein Bruder bereit war, mit ihm zu reden. Ban war erst zwanzig, fünf Jahre jünger als er.
    »Ich bin froh, dass du hier bist«, sagte Ban schließlich. »Ich könnte deine Gesellschaft

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