Die Nachtwächter
sie einen entspannten Mann vor, der zurückgelehnt auf einem Stuhl saß, die Füße auf dem Schreibtisch, und in Papieren blätterte. Der Mann trug die Streifen eines Feldwebels, und etwas an ihm wirkte wie eine Falle, die bei der leichtesten Berührung zuschnappen konnte. Er schenkte den Neuankömmlingen nicht die geringste Beachtung. Seine Nichtbeachtung galt vor allem einem mageren Gefreiten, der noch immer neu genug für einen gewienerten Brustharnisch war…
Sie schwärmten zwischen den Schreibtischen aus und unterhielten sich leise.
Mumm kannte sie genau. Sie gehörten zur Nachtwache, weil sie für die Tagwache zu schmuddelig, hässlich, inkompetent, verunstaltet oder gemein waren. Sie waren ehrlich, im besonderen Polizistensinne dieses Wortes. Sie stahlen keine Dinge, die zu schwer waren, um sie fortzutragen. Und sie hatten die Moral von feuchtem Pfefferkuchen.
Am vergangenen Abend hatte Mumm überlegt, ob er sich mit einigen aufmunternden Worten vorstellen sollte, doch er entschied sich dagegen. Sie
waren
Polizisten, wenn auch keine guten, und Polizisten hielten nichts von dem Glückliche-Familie-Quatsch: »Hallo, Leute, nennt mich Christopher, meine Tür steht immer offen. Wenn wir alle an einem Strang ziehen, kommen wir bestimmt bestens zurecht und sind eine glückliche Familie.« Sie hatten zu viele Familien gesehen, um auf einen solchen Unsinn hereinzufallen.
Jemand räusperte sich mit bösem Vorbedacht. Mumm sah auf und in das Gesicht von Feldwebel »Klopfer« Klopf. Für den Bruchteil einer Sekunde fühlte er sich versucht zu salutieren. Dann erinnerte er sich daran, wer Klopf war.
»Nun?«, fragte er.
»Du sitzt an
meinem
Schreibtisch, Feldwebel«, sagte Klopf.
Mumm seufzte und deutete auf die kleine Krone an seinem Ärmel. »Siehst du das, Feldwebel?«, fragte er. »Das nannte man einmal den Hut der Autorität.«
Klopfs kleine Wieselaugen richteten sich auf die Krone. Dann kehrte ihr Blick in Mumms Gesicht zurück, und der Schock des Erkennens stand in ihnen.
»Verdammt und zugenäht«, hauchte Klopf.
»Es heißt ›verdammt und zugenäht,
Herr
‹«, sagte Mumm. »Aber du kannst mich auch ›Chef‹ nennen. Ist das deine Gruppe? Meine Güte. Nun, fangen wir an.«
Er schwang die Füße vom Schreibtisch und stand auf. »Ich habe mir die Rechnungen für Marlenes Futter angesehen«, sagte er. »Interessante Lektüre, Jungs. Nach meinen ersten Berechnungen sollte ein Pferd, das so viel frisst, fast kugelförmig sein. Stattdessen ist der Gaul so dünn, dass ich mit zwei Stöcken und einem Notenblatt Musik auf seinen Rippen spielen könnte.«
Mumm ließ die Papiere sinken. »Glaubt bloß nicht, ich hätte keine Ahnung, wohin das Korn verschwindet. Ich wette, ich weiß auch, wem die Hühner, Kaninchen und Tauben gehören«, sagte er. »Und das Schwein. Der Hauptmann glaubt vermutlich, dass sie allein von den Resten Fett ansetzen.«
»Ja, aber…«, begann jemand.
Mumm schlug mit der Hand auf den Schreibtisch. »Ihr lasst sogar das arme Pferd hungern!«, donnerte er. »Das hört sofort auf! Und mit einigen anderen Dingen ist ebenfalls Schluss. Ich weiß, wie’s läuft. Bier und einen Krapfen schnorren… Das gehört eben dazu, wenn man Polizist ist. Und vielleicht gibt es in dieser Stadt sogar einige Leute, die so
froh
darüber sind, einen Polizisten zu sehen, dass sie ihm eine Gratismahlzeit anbieten. Es sind schon seltsamere Dinge geschehen. Aber Marlene den Hafer zu klauen… Das hört auf. Und noch etwas. Hier steht, dass der Gefangenenwagen letzte Nacht acht Personen beförderte. Von zweien weiß ich, denn einer von ihnen war ich, und den anderen kenne ich. Heute Morgen sind die Zellen leer. Was ist mit den anderen sechs passiert? Feldwebel Klopf?«
Klopf befeuchtete sich nervös die Lippen. »Wir haben sie zum Verhör in die Ankertaugasse gebracht«, sagte er. »Wie es die Vorschriften verlangen.«
»Habt ihr eine Empfangsbestätigung bekommen?«
»Eine was?«
»Deine Männer haben sechs Personen verhaftet, die noch spät unterwegs waren, und sie dann den Unaussprechlichen übergeben«, sagte Mumm mit der Ruhe vor dem Sturm. »Habt ihr eine Quittung bekommen? Wisst ihr wenigstens die Namen der Gefangenen?«
»Der Befehl lautet, sie zu übergeben«, erwiderte Klopf und versuchte es mit ein wenig Trotz. »Wir sollen die Leute zur Sondergruppe bringen und dann gehen.«
Mumm merkte sich das, um später noch einmal darauf zurückzukommen. »Nun, ich bin nicht dorthin gebracht worden,
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