Die Nebel von Avalon
seinen Sohn ohne den Vater aufziehen? Als Gorlois an diesem Abend zurückkam, schien sie wieder den Schatten hinter ihm zu sehen, den gefürchteten Geist… den stumm wartenden Tod. Wieder klaffte die Wunde unter seinem Auge. Sein Gesicht war gezeichnet von Leid und Verzweiflung.
Igraine wandte sich ab, und als er sie berührte, hatte sie das Gefühl, von eisigen Händen umarmt zu werden. »Ach, meine Liebe, sei nicht so bedrückt«, versuchte Gorlois sie zu trösten und setzte sich auf den Bettrand. »Ich weiß, du bist krank und unglücklich. Du sehnst dich sicher danach, zu deinem Kind zurückzukehren. Lange wird es nicht mehr dauern. Ich habe Neuigkeiten für dich. Wenn du mir zuhörst, werde ich sie dir berichten.«
»Ist der Rat inzwischen einer Einigung näher?«
»Vielleicht«, antwortete Gorlois, »hast du heute nachmittag die Unruhe auf der Straße bemerkt? Lot von Orkney und die Könige aus dem Norden sind abgezogen. Sie haben sich inzwischen damit abgefunden, daß wir Lot erst dann zum Großkönig wählen werden, wenn Sonne und Mond im Westen aufgehen. Also sind sie davongeritten und überlassen es uns, Ambrosius' Willen zu vollziehen. An Uthers Stelle würde ich nach Sonnenuntergang nicht mehr allein auf die Straße gehen… das habe ich ihm auch gesagt. Lot zog ab wie ein geprügelter Hund. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, daß er sich Genugtuung verschafft und Uther einen gedungenen Mörder auf die Fersen setzt.«
Sie flüsterte: »Glaubst du wirklich, Lot wird versuchen, Uther umzubringen?«
»Im offenen Kampf kann er es mit Uther nicht aufnehmen. Doch ein Messer in den Rücken, das entspräche Lot! Ich bin nur froh, daß er keiner der Unseren ist, obwohl es mich beruhigen würde, wenn Lot den Treueschwur geleistet hätte und Frieden halten müßte. Einen heiligen Eid wagt er nicht zu brechen… aber selbst dann würde ich ihn nicht aus den Augen lassen«, sagte Gorlois. Als sie im Bett lagen, griff er nach ihr, aber Igraine schüttelte den Kopf und schob ihn von sich. »Warte noch einen Tag«, sagte sie.
Ergeben seufzend, drehte er sich zur Seite und schlief sofort ein. Sehr viel länger würde sie ihn nicht mehr hinhalten können, dachte sie. Aber das Entsetzen hatte sie gepackt, als wieder der unheilvolle Doppelgänger hinter Gorlois stand. Sie sagte sich vor, was auch immer geschehen würde, es sei ihre Pflicht, diesem ehrenhaften Mann, der so gut zu ihr gewesen war, eine treuergebene Frau zu bleiben. Und dies erinnerte sie wieder an Tintagel, wo Viviane und der Merlin ihre Sicherheit und ihren Frieden zerstört hatten. Igraine fühlte Tränen in sich aufsteigen, aber sie versuchte, ihr Schluchzen zu unterdrücken, denn sie wollte Gorlois nicht wecken. Der Merlin hatte versprochen, ihr einen Traum zu senden, um sie von ihrer Trübsal zu erlösen. Und doch hatte all dies mit einem Traum begonnen. Sie fürchtete sich davor, einzuschlafen, denn sie hatte Angst, ein neuer Traum würde das bißchen Frieden, das sie gefunden hatte, ebenfalls zerstören. Igraine wußte, wenn sie es geschehen ließ, würde diese Geschichte ihr Leben zerstören und das Gelöbnis vor dem Altar wäre gebrochen. Zwar war sie keine Christin, aber sie kannte die Predigten inzwischen gut genug, um zu wissen, daß es in ihren Augen eine schwere Sünde war.
Wenn Gorlois tot wäre…
Igraine hielt entsetzt den Atem an. Zum ersten Mal hatte sie sich einen solchen Gedanken erlaubt. Wie konnte sie ihm den Tod wünschen… ihrem Gemahl, dem Vater ihrer Tochter? Wie konnte sie wissen, daß Uther sie wollte, selbst wenn Gorlois nicht mehr zwischen ihnen stand? Wie konnte sie an der Seite eines Mannes liegen und sich nach einem anderen sehnen?
Viviane sprach darüber, als sei es nichts Ungewöhnliches. .. bin ich einfach zu kindlich und zu unerfahren? Ich will wach bleiben, damit ich nicht träume. ..
Wenn ich mich weiter so unruhig im Bett hin und her werfe, dachte Igraine, wird Gorlois sicher aufwachen. Und wenn ich weine, wird er wissen wollen, warum. Doch was könnte ich ihm schon sagen? Igraine erhob sich leise, verbarg ihre Nacktheit in einem weiten Umhang und setzte sich vor die Glut des ersterbenden Feuers. Sie starrte in das glühende Rot und fragte sich, weshalb der Merlin von Britannien, ein Priester der Druiden, Ratgeber von Königen und ein Bote der Götter, auf diese Weise in das Leben einer jungen Frau eingreifen sollte. Und außerdem: Was hatte ein Druide als Ratgeber des Königs an einem christlichen Hof zu
Weitere Kostenlose Bücher