Die Nebel von Avalon
im Meer liegen als die alten versunkenen Reiche. Wird uns eine Göttin, die an diesen Flecken Erde und ihre Ernte gebunden ist, dorthin folgen? Sieh doch nur die wilden Nordmänner an, die über unsere Küsten herfallen… Kann der Fluch der Mutter sie aufhalten? Die wenigen Priesterinnen, die Avalon geblieben sind, werden weder von den Sachsen noch von den Nordmännern überfallen, denn Avalon gehört nicht mehr zu der Welt, in der diese wilden Räuber leben. Die Frauen, die in der kommenden Welt leben, brauchen Männer, die sie beschützen. Die Welt ist jetzt keine Welt der Göttinnen, Niniane, sondern eine Welt der Götter… vielleicht
eines
Gottes. Ich selbst muß nicht versuchen, Artus zu stürzen. Die Zeit und die Veränderungen werden es tun.«
Niniane spürte auf ihrem Rücken das Prickeln des Gesichts. »Und was geschieht mit dir, Hirschkönig von Avalon? Was geschieht mit der Mutter, die dich in ihrem Namen in die Welt gesandt hat?«
»Glaubst du, ich will mit Avalon und Camelot im Nebel versinken? Ich will nach Artus Großkönig sein… und um das zu erreichen, muß ich den Ruhm von Artus' Hof in all seinem Glanz bewahren. Deshalb muß Lancelot gehen. Und das bedeutet, man muß Artus zwingen, ihn zu verbannen… und wahrscheinlich auch Gwenhwyfar. Stehst du auf meiner Seite, Niniane, oder nicht?«
Niniane wurde totenblaß. Sie ballte die Fäuste und wünschte, sie besäße die Macht von Morgaine, die Macht der Göttin, um sich wie eine Brücke von der Erde zum Himmel zu spannen und ihn mit dem Blitz der zürnenden Göttin zu erschlagen. Der Halbmond auf ihrer Stirn glühte vor Zorn.
»Ich soll dir helfen, eine Frau zu verraten, die sich das Recht genommen hat, das die Göttin allen Frauen gibt… sich den Mann ihrer Wahl zu nehmen?«
Gwydion lachte spöttisch: »Gwenhwyfar verzichtete auf dieses Recht, als sie zum ersten Mal vor diesem Gott der Sklaven das Knie beugte.«
»Trotzdem, ich will nichts mit diesem Verrat zu tun haben.«
»Dann wirst du mich nicht benachrichtigen, wenn sie ihre Frauen wieder einmal für die Nacht entläßt?«
»Nein!« erklärte Niniane. »Bei der Göttin, das werde ich nicht. Artus' Verrat an Avalon ist nichts im Vergleich zu deinem!« Niniane wendete sich ab und wollte gehen. Aber Gwydion hielt sie fest.
»Du wirst tun, was ich dir befehle!«
Niniane wehrte sich und entwand sich schließlich seinem Griff. »Was? Mir befehlen? Nicht in tausend Jahren!« rief sie keuchend vor Zorn. »Hüte dich! Du hast Hand an die Herrin von Avalon gelegt! Artus wird jetzt erfahren, welche Schlange er an seinem Busen nährt!«
In blinder Wut packte Gwydion sie am Handgelenk, riß sie an sich und schlug ihr mit voller Kraft gegen die Schläfe. Niniane fiel lautlos zu Boden. Sein Haß war so groß, daß er keinen Finger rührte, um sie aufzufangen.
»Die Sachsen haben dir den richtigen Namen gegeben«,
sprach eine leise, drohende Stimme aus dem Nebel,
»Mordred … Mörder!«
Gwydion zuckte erschrocken zusammen und blickte auf Ninianes leblosen Körper zu seinen Füßen. »Mörder? Nein! Ich war nur zornig auf sie… Ich wollte ihr nicht ans Leben…« Er starrte in den dichten Nebel, ohne etwas zu sehen. Aber er kannte die Stimme. »Morgaine! Herrin… meine Mutter!«
Gwydion fiel auf die Knie. Entsetzen würgte ihn, als er Niniane aufrichtete. Ihr Herz schlug nicht mehr. Leblos lag sie in seinen Armen.
»Morgaine! Wo seid Ihr? Wo seid Ihr denn? Zeigt Euch, verdammt noch mal!« Er zog Niniane an sich und flehte: »Niniane, Niniane, meine Geliebte… nun sag doch etwas…!«
»Sie wird nie wieder sprechen«, ertönte eine Stimme. Doch als Gwydion sich diesmal umwandte, tauchte die Gestalt einer Frau langsam aus dem Nebel auf. »Oh, was hast du getan, mein Sohn!«
»Warst du es? Warst du es?« fragte Gwydion. Seine Stimme überschlug sich vor Angst und Entsetzen. »Hast du mich einen Mörder genannt?«
Morgause wich erschrocken einen Schritt zurück: »Nein, nein, ich bin erst in diesem Augenblick hierhergekommen. Was hast du getan, mein Sohn?«
Gwydion warf sich in ihre Arme. Sie hielt ihn fest und streichelte ihn wie damals, als er noch ein zwölfjähriger Junge war. »Niniane hat mich gereizt… sie hat mir gedroht… die Götter sind meine Zeugen, Mutter. Ich wollte ihr nichts tun. Aber sie drohte, Artus zu erzählen, daß ich etwas gegen seinen teuren Lancelot plane«, berichtete Gwydion beinahe schluchzend. »Ich habe sie geschlagen. Aber ich schwöre, ich wollte sie nur
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