Die Nebel von Avalon
»Diese List ist deiner würdig!«
Gawain erklärte förmlich: »Im Namen des Königs, Lancelot, klage ich Euch des Hochverrats an. Gebt mir Euer Schwert.«
»Mach dir darum keine Sorgen. Geh und nimm es dir«, sagte Gwydion.
»Gareth! Warum in Gottes Namen gibst du dich dazu her?«
Tränen standen in Gareths Augen. »Das hätte ich nie von dir erwartet, Lancelot! O Gott, wäre ich doch im Kampf gefallen, damit ich es nicht hätte erleben müssen.«
Lancelot senkte den Kopf. Gwenhwyfar sah, wie er sich gehetzt im Raum umblickte. Er murmelte: »Oh, mein Gott. So hat mich Pellinore angesehen, als sie mich mit Elaine im Bett überraschten… Muß ich denn alle, alle enttäuschen?« Gwenhwyfar wollte die Hand nach ihm ausstrecken, wollte vor Mitleid und Qual aufschreien, ihn in die Arme nehmen, um ihn zu beschützen. Aber er sah sie nicht an.
»Das Schwert«, wiederholte Gawain. »Und kleidet Euch an, Lancelot. Ich will Euch nicht nackt und unschicklich vor Artus bringen. Genug Männer haben Eure Schande mitangesehen.«
»Laßt ihn nicht zu seinem Schwert«, rief jemand. Aber Gawain brachte den Mann mit einer verächtlichen Geste zum Schweigen. Langsam wendete Lancelot sich von ihnen ab und ging in das Vorzimmer, wo er Kleider, Rüstung und Waffen abgelegt hatte. Gwenhwyfar hörte, wie er sich ankleidete. Gareth legte die Hand ans Schwert, als Lancelot bekleidet aber unbewaffnet in das Gemach zurückkam.
»Ich bin froh um Euretwillen, daß Ihr keinen Widerstand leistet«, erklärte Gwydion. »Mutter…«, er sprach in das Dunkel, und Gwenhwyfar sah fassungslos, daß Morgause dort stand, »… kümmert Euch um die Königin. Ich überlasse sie Eurer Obhut, bis Artus entschieden hat, was mit ihr geschehen soll.«
Morgause trat an das Bett. Gwenhwyfar sah plötzlich zum ersten Mal, daß Morgause eine große und harte Frau war. »Kommt schon, meine Dame. Zieht Euch an«, sagte sie. »Ich werde Euch auch helfen, die Haare aufzustecken. Ihr wollt doch sicher nicht nackt dem König unter die Augen treten? Seid froh, daß eine Frau hier ist. Diese Männer…«, sie blickte verächtlich in die Runde, »… wollten doch tatsächlich warten, bis er auf Euch liegt.«
Gwenhwyfar zuckte unter der Grausamkeit ihrer Worte zusammen. Mit zitternden Fingern begann sie langsam, das Gewand überzustreifen. »Muß ich mich vor all diesen Männern ankleiden?«
Gwydion wartete Morgauses Antwort nicht ab. »Versucht nicht, uns etwas vorzuspielen, schamloses Weib! Ihr wollt doch nicht vorgeben, daß noch ein Funken Anstand oder Sittsamkeit in Euch steckt! Zieht dieses Gewand an, oder meine Mutter wird Euch darin einpacken wie in einen Sack.«
Er nennt sie Mutter. Kein Wunder, daß Gwydion so grausam und rücksichtslos ist, wenn die Königin von Lothian ihn großgezogen hat! Aber wie oft habe ich in Morgause nur eine träge, lustige, genußsüchtige Frau gesehen… was treibt sie dazu, sich zu so etwas herzugeben?
Gwenhwyfar schnürte sich schweigend die Schuhe. Lancelot fragte ruhig: »Ihr wollt also mein Schwert?«
»Das habe ich bereits gesagt«, entgegnete Gawain. »Also dann…«, Lancelot sprang blitzschnell auf Gawain zu und hielt mit katzenhafter Gewandtheit im nächsten Augenblick Gawains Schwert in der Hand, »… komm und nimm es dir!« Mit einem Satz war er bei Gwydion, der aufschreiend zu Boden fiel und aus einer großen Wunde blutete. Cai trat ihm mit gezogenem Schwert entgegen, Lancelot nahm ein Kissen, versetzte ihm damit einen Stoß, und der Hofmarschall fiel auf die Männer, die gerade vorwärtsstürmen wollten. Dann sprang Lancelot auf das Bett und sagte leise und knapp zu Gwenhwyfar: »Sei ruhig und halte dich bereit!«
Gwenhwyfar stockte der Atem. Sie machte sich ganz klein und drückte sich in eine Ecke. Die Männer stürmten auf Lancelot ein. Er durchbohrte einen, kämpfte kurz mit einem anderen, sprang über den Körper des ersten Mannes und versetzte einem schattenhaften Angreifer einen mächtigen Hieb. Gareths riesige Gestalt sank langsam zu Boden. Lancelot kämpfte bereits mit einem anderen Angreifer, als der blutüberströmte Gwydion verzweifelt schrie: »Gareth!« und sich über den Körper seines Ziehbruders warf. In diesem Augenblick, als alle starr vor Schrecken zusahen, wie Gwydion schluchzend neben Gareth niedersank, spürte Gwenhwyfar, wie Lancelot sie mit einem Arm hochriß, wie er blitzschnell an der Tür herumwirbelte, noch einen Mann durchbohrte – sie sah nicht mehr, wer es war – und dann
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