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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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merkwürdige Geräusche, dann einen Schrei seiner Mutter. Er hat sie schon früher betrunken erlebt, aber noch nie so schreien gehört. Als sei sie dem Tode nahe. Er fasst um die Türklinke. Da spürte er eine Hand auf seiner Schulter.
    »Geh da nicht rein.«
    Jo windet sich, er will die Hand abschütteln. Zuerst hat er geglaubt, es sei der Mann von Mutters Tisch, aber es ist ein Fremder.
    »Jemand ist bei deiner Mutter. Du brauchst nicht auf sie aufzupassen.«
    Irgendetwas veranlasst Jo, die Türklinke loszulassen. Vielleicht ist es die Stimme, die ihm bekannt vorkommt. Er blickt zu dem Fremden auf. Es ist ein Mann in Arnes Alter. Er ist unrasiert und hat die Sonnenbrille auf den Kopf geschoben.
    »Das geht Sie nichts an«, brummt Jo, aber er ist nicht böse.
    »Kann schon sein«, entgegnet der Mann.
    Und trotzdem hat er sich eingemischt.
    »Komm mit«, sagt er. »Ich spendiere dir eine Cola.«
    Er geht auf die Terrasse voraus, ohne sich umzudrehen. Er trägt eine Shorts und ein schwarzes kurzärmliges Hemd. Sein halblanges Haar ist nach hinten gestrichen und reicht ihm über den Hemdkragen. Jo hört seine Mutter nicht mehr schreien, steht zögerlich da. Dann trottet er dem Mann hinterher.
     
    Sie setzen sich an einen Tisch am Ende der Terrasse. Tief unter ihnen schlägt das Meer an die Felsen. Die Brandung scheint stärker geworden zu sein, und Jo denkt immer noch daran, wie es wäre, nach unten zu laufen und sich in die Fluten zu stürzen. Die Dunkelheit färbt das Wasser schwarz, es ist sicher noch warm.
    Auch der fremde Mann trinkt eine Cola. Und jetzt fällt Jo ein, woher er seine Stimme kennt. Aus dem Fernsehen. Vor kurzem war er auch auf der Titelseite der
Aftenposten
.
    »Ich hab Sie in der Zeitung gesehen«, sagt er. »Und im Fernsehen.«
    »Das ist gut möglich.«
    »Werden Sie von vielen Leuten erkannt?«
    »Ja, von ziemlich vielen. Die meisten Leute glotzen einen an, als könnten sie nicht fassen, dass ich, obwohl ich schon mal im Fernsehen war, ein Mensch aus Fleisch und Blut bin, der zu Mittag isst und aufs Klo muss.« Der fremde Mann lächelt. »Aber Norweger sind höfliche Leute. Wenn sie dich genug angeglotzt haben, lassen sie dich in der Regel in Ruhe. Eigentlich sind alle befangen und haben Angst, sich zu blamieren, genau wie du und ich.«
    Jo trinkt einen Schluck von seiner Cola und wirft einen Blick ins Restaurant.
    »Nicht meine Mutter. Die benimmt sich ständig daneben.«
    Der Mann lehnt sich zurück.
    »Sie ist betrunken«, stellt er fest. »Alle verändern sich, wenn sie trinken.«
    Jo versucht, von seiner Mutter abzulenken.
    »Trinken Sie denn gar nicht?« Er zeigt auf das Colaglas. »Ich meine, Wein oder Schnaps oder so was?«
    »Nur wenn ich muss. Du heißt Jo, stimmt’s?«
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich habe gehört, wie dein Vater nach dir gerufen hat, als wir aus dem Flugzeug stiegen.«
    »Arne ist nicht mein Vater.«
    »Verstehe. Du weißt nicht, wie ich heiße?«
    »Hab den Namen bestimmt schon gehört. Aber ich kann mich nicht erinnern.«
    Der Mann klopft sich auf die Brusttaschen und zieht eine flach gedrückte Zigarettenschachtel hervor.
    »Kannst mich übrigens duzen. Sag einfach Jakka zu mir.«
    »Jakka? Komischer Name …«
    Der Mann steckt sich die Zigarette an.
    »So wurde ich genannt, als ich in deinem Alter war. Wie alt bist du? Dreizehn, vierzehn?«
    »Zwölf«, antwortet Jo und ist ein bisschen stolz.
    »Ein paar Freunde nennen mich immer noch so, wenn wir uns treffen«, erklärt der Mann.
    »Gefällt dir das?«, fragt Jo lächelnd. »Dass sie dich Jakka nennen?«
    Jakka streicht sich über sein unrasiertes Kinn.
    »Da, wo ich herkomme, haben alle einen Spitznamen, der hat oft was mit dem Beruf des Vaters zu tun. Mein Vater hatte einen Klamottenladen beziehungsweise einen Konfektionshandel, wie das damals hieß, und Jakka fand ich vollkommen okay. Heute gefällt mir der Name eigentlich noch besser. War in jedem Fall cooler als Hobel oder Locke. Ganz zu schweigen von Schnitzel.«
    Er lacht, und Jo muss auch lachen.
    »Ich heiße auch nicht wirklich Jo, das sind nur die Anfangsbuchstaben von meinem Namen.«
    »Ach so?«
    »Wenn jemand meinen vollständigen Namen ausspricht, dann erwürge ich ihn!«
    »Ups, also dann bleibe ich auch lieber bei Jo.«
    »Das ist kein Witz. In der Schule haben mal Leute versucht, mir einen Spitznamen zu verpassen. Die bereuen das noch heute.«
    Jakka zieht an seiner Zigarette.
    »Ganz deiner Meinung, Jo. Man muss sich Respekt

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