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Die Netzhaut

Die Netzhaut

Titel: Die Netzhaut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Torkil Damhaug
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zurück«, schlägt Daniel vor.
    Jo spuckt aus.
    »Nein, weiter raus, nicht zurück.« Daniel späht zum Horizont, dann lacht er.
    »Sag Bescheid, wenn du so weit bist.«
    Jo spürt seinen Atem und wartet, bis er sich beruhigt hat. Dann holt er ein paarmal tief Luft und gibt ein Handzeichen. Sie tauchen.
    Er lässt Daniel vorausschwimmen und hat das Gefühl, durch einen Raum aus geschmolzenem Glas zu gleiten. Das flirrende türkisfarbene Licht wird gebündelt und verschwindet im Dunkel. Er schwimmt mit ruhigen, gleichmäßigen Zügen. Will nicht zu viel Kraft vergeuden. In der Schule haben sie die Zeit gestoppt, um herauszubekommen, wer am längsten die Luft anhalten kann. Niemand kam nur annähernd an seinen Rekord heran. Über zwei Minuten. Einer, der an seiner Zeit zweifelte, hielt ihm die Hand vor Mund und Nase, um zu überprüfen, ob er schummelte. Aber er schummelte nicht. Er hörte ganz einfach auf zu atmen. Könnte für immer aufhören, wenn es sein müsste … Daniel liegt ein Stück vor ihm. Zwischen Säulen aus Licht sieht Jo seine Füße schlagen. Er gleitet durch kalte Strömungen, stößt noch tiefer hinab, sieht einen Schwarm winziger schwarzer Fische und spürt das Blut in seinem Schädel pochen. Dabei kann eine Ader im Gehirn platzen, hatte seine Mutter einst gerufen, als er wieder an die Oberfläche kam, und jetzt denkt er an dieses Blut, das aus seinem Gehirn herausschießt und es wie ein warmer Lappen umhüllt. Ihn schwindelt. Ich brauche Luft, durchzuckt es ihn, doch er taucht einfach weiter, und dieser Wille hat nichts mit ihm zu tun, kommt von woandersher und drängt in ihm an die Oberfläche … in weiter Ferne: Daniels Füße. Sie zeigen direkt nach unten, also muss er aufgegeben haben. Du musst hochkommen, sonst platzt dein Gehirn, hört er seine Mutter schreien, aber er kommt nicht hoch. Er erreicht Daniels Füße und taucht einfach weiter, immer weiter, bis die Lichtsäulen um ihn her verlöschen. Erst da schießt er nach oben und wirft seinen Kopf über die Wasseroberfläche.
    »Du bist ja total verrückt!«, ruft Daniel ihm zu. Seine Stimme klingt fern, als befinde er sich auf der anderen Seite einer Wand. Jo ist nicht in der Lage zu antworten. Kleine schwarze Fische schwimmen immer noch im hellen Licht, und ihm wird schlecht. Er lässt sich in Daniels Richtung treiben und kann kaum die Arme bewegen. Zwingt sich zu einem Lächeln, als wolle er ihm recht geben:
Stimmt, ich bin total verrückt.
    *
    Seine Mutter und Arne sind nicht da, als er in die Wohnung zurückkehrt. Sie müssen Nini und Truls mitgenommen haben, denn am Pool waren sie auch nicht, als Jo dort vorbeilief. Sie sind gerade erst weg, stellt Jo fest, denn auf der Toilette hängt immer noch ein säuerlicher Geruch in der Luft. Er zieht sich rasch um und geht ins Wohnzimmer, das ihm, Truls und Nini auch als Schlafzimmer dient. Das Sofa ist nicht gemacht, die Matratzen liegen auf dem Boden. Er stellt die Klimaanlage an und schaltet den Fernseher ein. Griechische Nachrichten. Ein Busunfall. Leute, die aus einem geborstenen Fenster krabbeln, manche mit blutigen Gesichtern. Er wirft das Bettzeug zur Seite und legt sich aufs Sofa. Sein ganzer Körper schmerzt, weil er Daniel im Wetttauchen geschlagen hat. Im nächsten Moment ist er eingeschlafen und wird durch ein Geräusch wieder wach. Eine Zeichentrickserie im Fernsehen. Er schaltet den Fernseher aus und stakst auf den Balkon. Backofenhitze. Die Sonne steht direkt über dem Dach. Er findet die dünne, graue Linie, die Himmel und Meer trennt. Wenn er immer weiter in diese Richtung schwimmt, kommt er nach Afrika. Wird von Kriegern auf Kamelen in Empfang genommen und in weiße Kleider gehüllt, damit er gegen den Sandsturm geschützt ist.
    Er beugt sich vor und blickt auf den Nachbarbalkon, der genau wie ihrer aussieht. Ein Plastiktisch und vier Stühle. Nur die zum Trocknen aufgehängten Kleider sehen anders aus. Ein Hemd, ein grünes Handtuch und ein Bikinihöschen. Das muss ihr gehören. Weiß mit dunkelroten Herzen. Es tropft. Das Mädchen vom Beckenrand wohnt nebenan.
    Die Balkontür ist angelehnt. Vielleicht ist sie auch allein in der Wohnung. Was sie wohl anhat, wenn der Bikini hier draußen hängt? Vielleicht steht sie auch unter der Dusche … Er horcht angestrengt, ob er rauschendes Wasser hört. Fehlanzeige. Vielleicht sollte er einfach rübergehen, klopfen und sich irgendwas ausleihen. Streichhölzer zum Beispiel. Was soll er mitten am Tag mit Streichhölzern? Seiner

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