Die neue arabische Welt
Wirren griffen die Nomaden die sesshafte Bevölkerung an oder überfielen Handelskarawanen – das Wort »Razzia« stammt aus dem Arabischen. Die Oasenbauern ihrerseits versuchten oft, ihre Anbaugebiete auf Kosten der Nomaden zu erweitern.
Sowohl die Beduinen als auch die Städter und Bauern waren in Stämmen organisiert, die sich aus Familien und Clans zusammensetzten. Ein Stamm konnte einige Hundert bis zu vielen Tausend Menschen umfassen. Verbunden fühlten sie sich durch den gleichen arabischen Dialekt und durch ihre gemeinsame Abstammung, die sie auf einen oft legendären Stammvater zurückführten. Zentral für den Zusammenhalt eines Stammes waren jedoch die wirtschaftlichen Interessen. Der Scheich führte den Stamm, bei Streitigkeiten bemühte man oft geachtete Männer als Schlichter: Auch der Prophet Mohammed übernahm diese Rolle, als er in die Oasenstadt Jathrib (Medina) übersiedelte.
Nur selten schlossen sich arabische Stämme zu größeren und dauerhaften Bündnissen zusammen. Eine Ausnahme war das Königreich der Nabatäer, deren Hauptstadt Petra zu großer Blüte gelangte. Sie beherrschten den Fernhandel von Ägypten bis zum Zweistromland – bis das Reich 106 n. Chr. zur römischen Provinz »Arabia Petraea« wurde. Auch der Stamm der Kinda konnte für zwei Jahrhunderte
im heutigen Saudi-Arabien ein Nomadenkönigreich errichten, das bis 528 n. Chr. bestand.
Der Grabtempel al-Dair, etwas außerhalb des Zentrums von Petra, ist heute Teil des Unesco-Weltkulturerbes.
Das Recht orientierte sich in Nordarabien am »Brauch der Väter« (arab. Sunna). Es war nicht religiös begründet, so die Berliner Islamwissenschaftlerin Gudrun Krämer: »Das Recht beruhte auf dem Grundsatz von Schädigung und Entschädigung, sprich: Vergeltung, Blutrache und Blutgeld.« Eine übergeordnete Obrigkeit gab es nicht – der Einzelne war auf den Schutz der Familie oder des Clans angewiesen. In ihrer überaus reichhaltigen Sprache mit einer Vielzahl an Dialekten sieht Krämer die »größte kulturelle Leistung der vorislamischen Araber«.
Von der Religion der Beduinen und Oasenbauern ist, anders als in Altsüdarabien, wenig bekannt. Sie beschränkte sich wohl auf die Verehrung von heiligen Steinen und Bäumen, die man als Verkörperungen männlicher und weiblicher Naturgottheiten auffasste. Wesentlich war der Glaube an Geister und Dämonen (arab. Dschinn). Wahrsager versuchten, mit dem Losorakel die Zukunft zu deuten.
Seit dem 1. Jahrhundert n. Chr., vor allem aber im 4. Jahrhundert, ließen sich Juden und Christen auf der Halbinsel nieder, eingewandert über Syrien oder Äthiopien. Größere jüdische Gemeinden entstanden, in Medina herrschten Juden sogar zeitweise über die Araber. Einige arabische Stämme traten zum Christentum über, im Süden verbreitete sich die Religion stark im Königreich Himjar, das dem Reich der Sabäer folgte.
Der Niedergang des einst so glänzenden Altsüdarabien hatte da bereits begonnen. Die Entdeckung der Monsunwinde sowie die ptolemäisch-ägyptische Erschließung des Seeweges durch das Rote Meer hatten das jemenitische Handelsmonopol beendet und den Verfall der alten Hochkulturen eingeleitet. Ende des 6. Jahrhunderts, so der Berner
Alttestamentler Axel Ernst Knauf, brach die altsüdarabische Zivilisation gänzlich zusammen, der Jemen wurde nun von nordarabischen Beduinen »arabisiert«. Mekka stieg neben Jathrib zur bedeutendsten Handelsstadt der Halbinsel auf, zentral auch als Wallfahrtsort mit der Kaaba, an der Hunderte von Götterstatuen aufgestellt waren; verehrt wurden auch drei weibliche Gottheiten.
Längst strahlten nun im Norden glanzvolle Reiche, vor allem das der Lachmiden mit der Hauptstadt Hira im heutigen Südirak, das von christlichen Nestorianern und iranischen Mazdaisten geprägt war. Hier entwickelte sich vom 4. Jahrhundert an eine Frühform der arabischen Schrift, hier lag auch ein Zentrum altarabischer Dichtkunst. Die am höchsten geschätzte Gedichtform war die Ode, die stets mündlich vorgetragen wurde. Die Dichter priesen das beduinische Leben, die Solidarität und Tapferkeit ihres Stammes, besangen die Vergänglichkeit.
Beduinen wie Städter liebten die Poesie, und die altarabische Dichtung wurde zu dem einheitsstiftenden Element Arabiens. Erst durch sie bildete sich im 3. und 4. Jahrhundert eine gemeinsame nordarabische Hochsprache heraus – und das unbestimmte Gefühl einer arabischen Einheit. Der lachmidische König Imru al-Kais war der Erste, der sich 323 n.
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