Die neue arabische Welt
um die rund 1500 Tonnen Weihrauchharz, die Rom jährlich verbrauchte, nach Gaza zu befördern. Der Karawanenführer, von den Römern »Praefectus deserti« genannt, hatte Zölle und Schutzgelder auszuhandeln. Die Kosten für diesen aufwendigen Transport waren enorm: Seefahrer, Karawanenführer, Kameltreiber, der bewaffnete Begleitschutz und Zwischenhändler mussten bezahlt werden. Die Händler in Rom oder Byzanz wussten wenig vom Ursprungsgebiet der Duftharze. Sie kannten nur die astronomischen Preise, vermuteten in Altsüdarabien sagenhaften Reichtum und nannten die Region »Arabia felix«, »glückliches Arabien«.
Hier, auf der riesigen Halbinsel, beginnt die Geschichte der Araber. Wie ein gigantisches Rechteck schiebt sich das Land zwischen den Mittelmeerraum und den Indischen Ozean. Es ist größer als der Indische Subkontinent und vom gebirgigen jemenitischen Hochland bis zu den Perlenmuschelbänken im Persischen Golf hin geneigt; das Gefälle beträgt über 3700 Meter. Jahrhundertelang war die Halbinsel Handelsbrücke und kulturelles Bindeglied zwischen Südostasien und Europa. Im fruchtbaren Südwesten entstanden in der Antike blühende Königreiche. Sie lebten von dem lukrativen Transithandel, der spätestens seit dem 8. Jahrhundert v. Chr. boomte. Niederschläge von über 500 Millimeter im Jahr sowie ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem sorgten für eine florierende Landwirtschaft.
Das berühmteste dieser Reiche war das Königreich von Saba mit seiner Hauptstadt Marib. Ob die vielzitierte Königin von Saba je gelebt hat (und wenn ja, ob im Jemen oder in Äthiopien), ist bis heute umstritten. Bei ihrem Besuch in Jerusalem soll die schöne Sabäerin König Salomo zentnerweise Gold, Balsam und Edelsteine geschenkt haben, heißt es im Alten Testament. Auch im Koran wird sie erwähnt, ebenso wie der berühmte Staudamm von Marib, der als größtes technisches Bauwerk und »Wunder von Arabien« galt.
Die sabäische Götterwelt orientierte sich an den Gestirnen. Der Mondgott war der höchste unter ihnen, dann folgten die Sonnengottheit Schams (noch im modernen
Arabisch das Wort für Sonne) und der Venusgott Attar. Um die Götter günstig zu stimmen, wurden ihnen Tier- und Trankopfer dargebracht. Es ging um Buße und Reue – man flehte um Vergebung für Verfehlungen, auch um Gesundheit und eine reiche Ernte.
Als »Araber« verstanden sich die Träger dieser hochentwickelten Kultur nicht. Diesen Stempel drückten ihnen erst die Griechen um 500 v. Chr. auf: Seit der Umsegelung Arabiens durch einen Admiral Alexanders des Großen dehnten sie die geografische Bezeichnung »Arabien« auf die gesamte Halbinsel aus; damit wurden für sie auch die Bewohner Altsüdarabiens Araber. Der Begriff »Aribi« taucht erstmals in Inschriften aus dem 9. Jahrhundert auf – die Nachbarn Nordarabiens, wie Assyrer und Hebräer, bezeichneten damit die Nomaden, die auf ihren Kamelen den Assyrern als Hilfstruppen dienten. Auch im Alten Testament kommen Araber allgemein als »Wüstenbewohner« vor.
Den größten Teil der Halbinsel mit seinen riesigen Wüsten und Steppengebieten nannten die Römer »Arabia deserta«. In den nördlichen Wüstensteppen lebten semitische Nomaden, die ihren Unterhalt mit Viehhaltung, Pferdezucht und Raubzügen bestritten – im Arabischen heißen sie »Beduinen« (von arab. badija, »Wüste«). Landwirtschaft war nur in Oasen möglich. Bauern pflanzten dort Dattelpalmen, Pfirsich- und Zitronenbäume und bauten Getreide an. In den größeren Oasen entwickelte sich städtisches Leben mit Handwerk, Handel und regelmäßigen Märkten.
Die antike Gesellschaft Nordarabiens unterschied sich von der Altsüdarabiens: Hier existierten Stadtkultur, Landwirtschaft und Nomadentum in einer engen Wechselbeziehung. Die Nomaden lieferten Milch, Fleisch, Felle, Häute und Wolle, dazu Reit- und Lasttiere. Im Tausch erhielten sie Produkte des täglichen Bedarfs. In der Hierarchie der
Beduinen standen die Kamelnomaden und Pferdezüchter an der Spitze. Sie blickten auf die sesshaften Bauern und Städter herab und priesen ihre Ideale: Ehre, Stolz, Freiheitsliebe und Gastfreundschaft. »Die Sesshaften sind in ihrem Wohlleben erschlafft, ihr Charakter ist verdorben; bei den bescheiden lebenden Beduinen dagegen haben sich Tugend und Manneszucht erhalten«, schreibt noch Ibn Chaldun, der große arabische Historiker des 14. Jahrhunderts.
Vor allem in Krisenzeiten kam es zu handfesten Konflikten: Bei Dürren oder politischen
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