Die neue arabische Welt
im Ägypten, im Libyen, im Saudi-Arabien jener Tage allerdings undenkbar schien. Im Irak ermordeten einander Sunniten und Schiiten – auch weil sie sich über so vermeintlich banale Dinge wie religiöse Feiertage nicht einig waren. Doch dieser Business-Scheich hatte in seiner Firma den Geburtstag des Propheten kurzerhand auf das folgende Wochenende verlegt. »Wozu die Arbeitswoche unterbrechen?«, fragte er. »Wir können doch auch am Freitag beten.«
Mullas Bemerkung machte deutlich, dass in manchen arabischen Staaten fünf Jahre nach dem 11. September eine Generation in den Hierarchien aufrückt, die, ohne areligiös zu sein, ein sehr pragmatisches Verhältnis zu ihrem Glauben hat, ja dass Religion und Innovation, Islam und Fortschritt kein grundsätzlicher Gegensatz sein musste.
Zu den wenigen, die diesen Wandel früh erkannten, gehörte die US-Journalistin Robin Wright, eine der besten Kennerinnen des Nahen Ostens. Sie war die Erste, welche die drei zentralen Begriffe des Umsturzes von 2011 – »Revolution«, »Jugend« und »Facebook« – in einer Reportage zusammenführte. Eine »sanfte Revolution« zeichne sich ab, schrieb sie schon 2009: Arabiens Jugend habe es satt, von 9/11 in Geiselhaft genommen zu werden. Stattdessen dränge sie auf mehr Bildung, Zugang zu moderner Technik und wirtschaftlicher Mobilität. Eine Generation habe sich auf den Weg gemacht, die »entschieden anti-dschihadistisch und ambivalent in ihrer Haltung zu islamistischen Parteien« sei.
Davon war 2006 noch wenig zu sehen, der Aufruhr um die dänischen Mohammed-Karikaturen lag erst wenige Monate zurück. Entschieden ist die religiöse Frage in der
arabischen Welt auch heute nicht. Den Sieg über den militanten Dschihadismus auszurufen wäre verfrüht – auch wenn die Tötung Osama Bin Ladens und der bislang ausgebliebene Aufschrei der Empörung in der arabischen Welt eher auf ein Ende dieser Epoche hindeutet als auf eine neue Runde im blutigen Kulturkampf.
Aber die Gewichte haben sich verschoben. In den vergangenen zehn Jahren hatte es den Anschein, als habe die arabische Welt nur die Wahl zwischen den autoritären Regimen und dem politischen Islam. Doch diese von den Autokraten selbst forcierte und vom Westen übernommene »binäre Definition« des Nahen Ostens, so der »New York Times«-Kolumnist Roger Cohen, überzeugt nicht mehr.
Selbst fünf Monate nach Beginn des arabischen Frühlings zeichnet sich in keinem der betroffenen Länder eine Figur ab, die sich mit Ajatollah Ruhollah Chomeini messen könnte, der vor mehr als 30 Jahren die iranische Revolution inspirierte. Die islamistischen Bewegungen sind nur zögernd in den Umsturz gezogen. Und größer als die Gefahr, dass radikale Islamisten den Umsturz kapern, scheint im Augenblick die Beharrungskraft der alten Regime. Sie gehen in Libyen, Syrien und in Bahrain mit so brutalen Mitteln gegen die Protestbewegungen vor, dass diese Länder eher von einer Konterrevolution bedroht scheinen als von einem Durchmarsch der religiösen Fundamentalisten. Können die Machthaber in Tripolis, Damaskus und Manama das Ende ihrer Herrschaft mehr als hinauszögern, können sie es wirklich verhindern? Die Wurzeln des Aufstands scheinen längst tiefer zu reichen als die ihrer Systeme. Der Ausgang des Kampfes wird auch davon abhängen, wie groß die Ausdauer der Revolutionäre ist und wie stark der Widerstand der Seilschaften, die von den alten Systemen profitieren.
In Dubai und auch später in Deutschland waren mitunter die Töchter ägyptischer Freunde für ein paar Wochen bei uns zu Gast – vier junge Frauen, von denen sich zwei für das Kopftuch entschieden hatten, die beiden anderen dagegen. Batta, Rana, Omima und Amani redeten am liebsten über ihre Arbeit, ihr Studium und darüber, was ihnen in Dubai und in Deutschland so gefiel. Wenn die Sprache auf Ägypten kam, beklagten sie sich – über das mühsame Leben in Kairo, über die mangelnde Qualität ihrer Ausbildung, über ihre schlechten Berufsaussichten und die niedrigen Gehälter, die sie zu erwarten hätten. Wenn der Name des Mannes fiel, der zeit ihres Lebens für das System stand, in dem sie aufgewachsen waren, verdrehten sie die Augen: »Solange Mubarak da ist, wird sich an all dem nichts ändern.«
Vor allem Rana, die gerade ihr Medizinstudium abgeschlossen hatte, als sie nach Dubai kam, war frustriert. »Wie kommt es eigentlich, dass jeder, der Protektion von oben hat, ohne Mühe einen tollen Job bekommt«, fragte sie,
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