Die neuen Weltwunder - In 20 Bauten durch die Weltgeschichte
dauerhaft und sehr inspiriert abzuarbeiten. Als Fass ohne Boden erwies sich die Budgetentwicklung – die Baukosten waren in astronomische Höhen geschnellt, weil die Herausforderungen des kühnen, beispiellosen Entwurfs an Konstruktion und Herstellung hässliche finanzielle Nebenwirkungen hatten. Aus den ursprünglich veranschlagten rund 3 , 5 Millionen Australische Pfund ( 7 Millionen Australische Dollar nach der Währungsumstellung 1966 ) – schon das war ein ansehnliches Budget für diedamalige Zeit – waren 1965 erkleckliche 25 Millionen ( 50 Millionen AU$ ) geworden. Die im Mai dieses Jahres neugewählte Regierung des Bundesstaats New South Wales hatte sich denn auch vorgenommen, dem steigenden Finanzbedarf des Bauvorhabens nicht mehr tatenlos zuzusehen, und ein wichtiger Unterstützer Utzons hatte seinen Stuhl räumen müssen. Mit einem Mal wurden der Chefarchitekt und seine Mitarbeiter nicht mehr bezahlt, und die zuständigen Behörden behinderten das Projekt nach Kräften, bis ein von höchster Stelle gemobbter Utzon schließlich entnervt aufgab. Der Architekt verließ das Projekt 1966 , nach fast einem Jahrzehnt harter Arbeit an seinem wichtigsten Werk. Den steigenden Kosten konnte das jedoch keineswegs Einhalt gebieten: Sie verdoppelten sich nach dem Abgang des Architekten abermals: Am Ende waren 102 Millionen Australische Dollar zusammengekommen.
Der unerhörte Vorfall löste eine bemerkenswerte Protestwelle aus – Architekturstudenten wie Bauarbeiter, namhafte Architekten sowie Kulturschaffende aller Seiten solidarisierten sich mit dem geschassten Architekten. Dabei ging es keineswegs allein um den schlechten Stil, den die neue Regierung an den Tag gelegt hatte, sondern um das kreative Selbstverständnis eines ganzen Berufsstandes.
Vergleichbare Fälle hat es immer wieder gegeben, und es gibt sie weiterhin: Bauherren missachten das Urheberrecht eines Architekten und degradieren ihn zum Dienstleister, der ausschließlich ihre Interessen zu erfüllen habe. Allzu oft wird er dann zum willkommenen Sündenbock für Probleme, die er nicht oder nur sehr begrenzt zu verantworten hat. »Offensichtlich ist das Genie verzichtbar und nichts weiter als ein Ärgernis für die Regierung«, schrieb ein wütender Kollege Utzons. Der Fall lenkte erstmals in größerem Umfang die Aufmerksamkeit auf das Problem schöpferischer Urheberschaft in der Architektur, und in der protestseligen Atmosphäre der Sechziger wurden viele Aktionen gestartet, um auf die Causa Utzon aufmerksam zu machen. Die Protestbewegung hatte zudem viele hochseriöse Mitglieder, allen voran die Crème de la Crème der internationalen Architektur, darunter Louis Kahn, Walter Gropius und Félix Candela.
Der neue Premier von New South Wales jedoch wollte ein Exempel statuieren und gab keinen Millimeter nach. An Utzons statt sollte ein Architektenteam unter Leitung eines Regierungsarchitekten die Arbeit fortsetzen, der eigentliche Schöpfer des Bauwerks hätte nur mehr in nachrangiger Position mitwirken dürfen. Darauf ließ dieser sich jedoch nicht ein: Utzon verließ Sydney und kehrte nie mehr zurück. Das hatte zur Folge, dass der gesamte Innenausbau von seinen Nachfolgern verantwortet wurde und vollkommen anders ausfiel als vom Architekten geplant.
Die Entscheidung für Utzons Entwurf war am Ende der Olympischen Spiele in Melbourne gefallen. Angesichts all der Schwierigkeiten und Rückschläge beim Bau sollten noch weitere vier Male rund um den Globus Olympische Spiele abgehalten werden, bis die Oper von Sydney 1973 vom Oberhaupt des Commonwealth, Königin Elisabeth II ., dem Publikum übergeben wurde. Ursprünglich war die Fertigstellung für das Jahr 1963 veranschlagt gewesen. Zur Einweihung wurde der Schöpfer des Baus nicht geladen, nicht einmal seinen Namen wollte man bei dieser Gelegenheit nennen. Aber schon längst war sein Werk zum Wahrzeichen Australiens erhoben sowie als vollendete Stadtskulptur und als Gebäude des Jahrhunderts gerühmt worden. Weitere sieben Olympiaden später diente es mit einer besonderen Illumination den entspannten Spielen von Sydney 2000 als stimmungsvolle Szenerie. Jørn Utzon wurde vier Jahrzehnte nach seiner unrühmlichen Abreise aus Sydney in den Jahren vor seinem Tod für die Sanierungsarbeiten des Gebäudes konsultiert und erfuhr so eine späte Genugtuung. Der eigent-liche Schöpfer des berühmtesten Opernhauses der Welt wurde gebeten, Designrichtlinien zu erstellen, damit bei den anstehenden und allen
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