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0080 - Augen des Grauens

0080 - Augen des Grauens

Titel: 0080 - Augen des Grauens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jason Dark
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Clark Benson wollte sich umbringen!
    Seine kräftigen Finger umspannten die Henkersschlinge. Sie bestand aus bestem Hanf und war dreifach geknotet. Benson hatte die Schlinge so vor sein Gesicht erhoben, daß er hindurchschauen konnte und sein Blick auf das Stahlgerüst der Hungerford Railway Bridge fiel.
    Die Brücke sollte sein Todesplatz werden.
    Und nichts würde ihn mehr davon abhalten, sich umzubringen. Er mußte dem Befehl gehorchen.
    Langsam ging er weiter. Seine Füße knickten das Gras des gepflegten Parks, der die Royal Festival Hall am oberen Themseknick umgab. Durch den Park führte die Eisenbahnlinie zur Waterloo Station, aber dieser große Bahnhof lag in Bensons Rücken. Er interessierte ihn auch nicht, für ihn war die Brücke wichtig.
    Sie lag zwischen der Westminster Bridge und der Waterloo Bridge und war längst nicht so berühmt wie ihre beiden Schwestern. Es kam auch daher, daß über die Brücke kein Autoverkehr führte. Nur Eisenbahnen rollten von einem Stadtteil in den anderen.
    Das Gelände stieg leicht an.
    Clark Benson mußte eine Böschung hochklettern und stand nach wenigen Minuten schweratmend auf dem Bahndamm.
    In der Kühle der Nacht schimmerten die Schienen feucht. Von der Oberfläche des Flusses stiegen immer Nebel hoch, dampften schlierengleich der Brücke entgegen und legten sich als feuchter Film auf die Gleiskörper.
    Auf den Schwellen schritt Clark Benson weiter.
    Er hatte keine Angst, daß ihn ein fahrender Zug von den Schienen fegen würde, um diese Zeit es war drei Uhr morgens ruhte der Verkehr nahezu. Benson brauchte sich um eine exakte Durchführung seines Vorhabens keine Sorge zu machen.
    Vor ihm wuchs das hohe Stahlgerüst in den dunklen Nachthimmel. Die handgroßen Nietenköpfe blinkten im fahlen Mondlicht, und unter dem ein samen Selbstmörder gurgelte das Wasser der Themse.
    Es sah schwarz aus.
    Kein Schiff durchschnitt die Wellen, kein Vergnügungsdampfer fuhr mehr, und kein Container wurde abgeschleppt.
    London holte Atem für einen neuen Tag.
    Unbeirrt ging Clark Benson weiter. Seine Schritte klangen monoton. Zielsicher traf er jedesmal eine Schwelle. Es war ein gleichmäßiges Gehen, und der Atem des Mannes stand als Nebelwolke vor seinen Lippen.
    Vier Gleisstränge führten über die Brücke. Der Geruch von Öl, Nässe und fauligem Wasser stieg Clark Benson in die Nase. Hoch oben auf dem Stahlgerüst hockten zahlreiche Möwen. Auch ihr Schreien war verstummt. Die Vögel schliefen.
    Clark Benson schaute nach vorn. Ein Drittel der Brückenlänge lag hinter ihm. Er konnte bis zum Trafalgar Square schauen und sah dort die bunten Lichter. Sie erloschen nie.
    Doch um Benson herum herrschte eine bedrückende Stille. Manchmal hatte er das Gefühl, daß die Schienen singen oder summen würden, aber das war wohl nur eine Einbildung, ebenso wie das Summen der gewaltigen Stahlträger.
    Das Henkersseil war ziemlich lang. Clark Benson hatte es sorgfältig zusammengelegt und über seine Schulter geworfen. Das Gewicht drückte schwer, doch der Selbstmordkandidat spürte nichts.
    Unbeirrt ging er seinen Weg. Sprang von Schwelle zu Schwelle, wobei seine Füße kein einziges Mal den Schotter berührten. Er blieb stehen.
    Clark Benson hatte jetzt die Mitte der Brücke erreicht und befand sich neben dem Pfeiler, den er sich als Standpunkt für seinen Selbstmord ausgesucht hatte.
    Benson verließ den Bahnkörper und trat direkt an das Eisengitter heran, wobei er seine Hände auf den Handlauf legte. Er schaute nach Norden.
    Der Fluß wirkte wie ein gewaltiges, dunkles, gekrümmtes Band, das ein Häusermeer durchschnitt, in dem Millionen Menschen lebten.
    Menschen!
    Bitter lachte Benson auf. Sie waren ihm seit zwei Tagen gleichgültig. Seit er die Augen gesehen und erlebt hatte, war er in deren Bann geraten.
    Die Augen!
    Er hatte sich in den Pupillen gesehen. Sein Schicksal war darin vorgezeichnet, wie er von der Brücke sprang, wie er am Strick hing, wie sich sein Gesicht verzerrte und das Leben aus dem Körper strömte.
    Doch er konnte nichts ändern!
    Sein Tod war eine beschlossene Sache. Die Augen hatten es ihm vorgeschrieben.
    Er mußte gehorchen!
    Schräg wuchs neben ihm der Stahlträger nach oben. Schon in Kopfhöhe begann die erste Querstrebe, wiederum durch dicke Nieten mit dem Träger verbunden.
    Clark Benson überlegte, ob er am Träger hochklettern sollte, doch er entschied sich für die einfachere Möglichkeit. Gelassen, wie ein Mensch, der sich an seine tägliche Arbeit

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