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Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen

Titel: Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Auster
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Verfolger, den man entdeckte, konnte jederzeit durch einen anderen ersetzt werden.
    Diese Darstellung des Sachverhalts tröstete Quinn, und er beschloss, an sie zu glauben, wenn er auch keinen Grund dafür hatte. Entweder wusste Stillman, was er tat, oder er wusste es nicht. Und wenn er es nicht wusste, erreichte Quinn gar nichts und vergeudete nur seine Zeit. Viel besser war es zu glauben, dass alle seine Schritte tatsächlich einem Zweck dienten. Wenn diese Deutung ein Wissen aufseiten Stillmans voraussetzte, wollte Quinn dieses Wissen als Glaubensartikel annehmen, wenigstens fürs Erste. Blieb das Problem, womit er seine Gedanken beschäftigen sollte, während er dem alten Mann folgte. Quinn war es gewohnt zu gehen. Seine Wanderungen durch die Stadt hatten ihn gelehrt, die Verbundenheit von Innerem und Äußerem zu verstehen. Indem er die ziellose Bewegung als Umkehrtechnik anwandte, konnte er an seinen besten Tagen das Äußere nach innen bringen und so die Souveränität der Innerlichkeit gewinnen. Indem er sich mit Äußerlichkeiten überflutete und sich aus sich selbst herausschwemmte, war es ihm gelungen, einen kleinen Grad von Kontrolle über seine Anfälle von Verzweiflung auszuüben. Wandern war daher eine Art von Geistesleere. Aber die Verfolgung Stillmans war kein Wandern. Stillman konnte wandern, er konnte wie ein Blinder von einer Stelle zur anderen taumeln, aber dieses Privileg war Quinn versagt. Denn er musste sich auf das konzentrieren, was er tat, auch wenn das so gut wie nichts war. Immer wieder begannen seine Gedanken abzuschweifen, und bald darauf passten sich seine Schritte dem an. Das bedeutete, dass er ständig Gefahr lief, seinen Gang zu beschleunigen und Stillman von hinten anzurempeln. Um sich vor diesem Missgeschick zu hüten, dachte er sich mehrere Methoden der Verlangsamung aus. Die erste bestand darin, sich zu sagen, dass er nicht mehr Daniel Quinn war. Er war nun Paul Auster, und mit jedem Schritt, den er machte, versuchte er, sich bequemer in die Verengungen dieser Verwandlung einzupassen. Auster war nicht mehr als ein Name für ihn, eine Hülle ohne Inhalt. Auster zu sein, bedeutete ein Mann ohne Inneres, ein Mann ohne Gedanken zu sein. Und wenn ihm keine Gedanken zu Gebote standen, wenn sein eigenes Innenleben unzugänglich geworden war, gab es für ihn keinen Ort mehr, an den er sich zurückziehen konnte. Als Auster konnte er keine Erinnerungen oder Ängste, Träume oder Freuden heraufbeschwören, denn all das war, da es Auster gehörte, für ihn nicht vorhanden. Folglich musste er ganz an seiner Oberfläche bleiben und nach außen blicken, um eine Stütze zu finden. Seine Augen stets auf Stillman zu richten, war daher nicht nur eine Ablenkung von seinen Gedankengängen – es war der einzige Gedanke, den er sich gestattete.
    Ein oder zwei Tage lang war diese Taktik leidlich erfolgreich, aber schließlich begann auch Auster unter der Monotonie zu leiden. Quinn erkannte, dass er mehr brauchte, um sich zu beschäftigen, eine kleine Aufgabe, die ihn begleitete, während er seiner Arbeit nachging. Zuletzt bot ihm das rote Notizbuch die Rettung. Anstatt nur einige beiläufige Bemerkungen zu notieren, wie er es während der ersten Tage getan hatte, beschloss er, jede nur erdenkliche Einzelheit über Stillman aufzuzeichnen. Er benutzte den Kugelschreiber, den er von dem Taubstummen gekauft hatte, und ging mit Eifer an die Arbeit. Er beobachtete nicht nur jede Geste Stillmans, beschrieb jeden Gegenstand, den er für seine Tasche auswählte oder verwarf, und notierte den genauen Zeitpunkt jedes Ereignisses, sondern zeichnete auch mit peinlicher Sorgfalt einen genauen Plan der Exkurse Stillmans auf und vermerkte jede Straße, der er folgte, jede Wendung, die er machte, und jede Pause, die eintrat. Das rote Notizbuch beschäftigte Quinn nicht nur, es verlangsamte auch sein Tempo. Die Gefahr, Stillman zu überholen, bestand nicht mehr. Das Problem war vielmehr, mit ihm Schritt zu halten, um sicherzugehen, dass er nicht verschwand. Denn Gehen und Schreiben waren zwei Tätigkeiten, die sich nicht leicht miteinander vereinbaren ließen. Wenn Quinn in den letzten fünf Jahren seine Tage damit verbracht hatte, entweder das eine oder das andere zu tun, so versuchte er nun beides zugleich. Anfangs machte er viele Fehler. Besonders schwierig war es zu schreiben, ohne auf das Blatt zu sehen, und er stellte oft fest, dass er zwei oder sogar drei Zeilen übereinander geschrieben und einen verworrenen,

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