Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Gesicht, so als kündete die Anhäufung alter Männer das unmittelbar bevorstehende Kommen Stillmans an. Einen kurzen Augenblick dachte Quinn: So sieht also Detektivarbeit aus. Aber sonst dachte er nichts. Er beobachtete nur. Unbeweglich in der sich bewegenden Menge stand er da und beobachtete.
Als ungefähr die Hälfte der Reisenden an ihm vorbeigegangen war, erblickte Quinn Stillman zum ersten Mal. Die Ähnlichkeit mit dem Foto schien unverkennbar zu sein. Nein, er war nicht kahl geworden, wie Quinn gedacht hatte. Sein Haar war weiß und ungekämmt und stand kreuz und quer in Büscheln in die Höhe. Er war groß, mager, ohne Frage über sechzig und ging ein wenig gebeugt. Er trug einen für die Jahreszeit unpassenden langen braunen Mantel, der schäbig geworden war, und er schlurfte ein wenig beim Gehen. Sein Gesichtsausdruck schien ruhig zu sein, halb benommen, halb gedankenverloren. Er hatte keinen Blick für die Dinge um ihn her, und sie schienen ihn auch nicht zu interessieren. Er trug nur ein Gepäckstück, einen einst schönen, nun aber abgenutzten Lederkoffer mit einem Riemen darum. Während er den Aufgang heraufkam, stellte er den Koffer ein- oder zweimal ab und ruhte einen Augenblick aus. Er schien sich mit Mühe zu bewegen, war ein wenig von der Menge verwirrt und wusste nicht, ob er mit ihr Schritt halten oder sich von den anderen überholen lassen sollte.
Quinn trat ein paar Meter zurück und bereitete sich darauf vor, rasch nach links oder rechts auszuweichen, je nachdem, was geschehen würde. Gleichzeitig wollte er weit genug entfernt sein, damit Stillman nicht bemerkte, dass er verfolgt wurde.
Als Stillman am Ausgang der Bahnhofshalle ankam, stellte er seinen Koffer wieder ab und ruhte sich aus. In diesem Augenblick erlaubte sich Quinn, einen Blick über den Rest der Menge schweifen zu lassen, um doppelt sicher zu sein, dass er keinem Irrtum erlegen war. Was dann geschah, entzog sich jeder Erklärung. Unmittelbar hinter Stillman, nur wenige Zoll hinter seiner rechten Schulter auftauchend, blieb ein anderer Mann stehen, nahm ein Feuerzeug aus der Tasche und zündete sich eine Zigarette an. Sein Gesicht glich dem Stillmans wie ein Zwilling dem anderen. Eine Sekunde lang dachte Quinn, es handle sich um ein Trugbild, eine Art Aura, die von den elektromagnetischen Strömungen in Stillmans Körper ausgestrahlt wurde. Aber nein, dieser andere Stillman bewegte sich, atmete, blinzelte; seine Handlungen waren offensichtlich vom ersten Stillman unabhängig. Der zweite Stillman sah wohlhabend aus. Er trug einen teuren blauen Anzug, seine Schuhe glänzten, sein weißes Haar war gekämmt, und seine Augen hatten den klugen Ausdruck eines Mannes von Welt. Auch er trug nur ein Gepäckstück: einen eleganten schwarzen Koffer, der etwa ebenso groß war wie der des anderen Stillman.
Quinn erstarrte. Er konnte nun nichts tun, was nicht ein Fehler war. Jede Wahl, die er traf – und wählen musste er –, war rein willkürlich, eine Kapitulation vor dem Zufall. Die Ungewissheit würde ihn bis zuletzt verfolgen. In diesem Augenblick gingen beide Stillmans weiter. Der erste wandte sich nach rechts, der zweite nach links. Quinn wünschte sich sehnlichst, sich wie eine Amöbe teilen zu können, um in zwei Richtungen zugleich weiterzugehen. «Tu etwas», sagte er sich. «Tu sofort etwas, du Idiot.»
Ohne besonderen Grund ging er nach links und folgte dem zweiten Stillman. Nach neun oder zehn Schritten blieb er stehen. Etwas sagte ihm, dass er ewig bedauern würde, was er soeben tat. Er handelte aus Trotz, er wollte den zweiten Stillman dafür bestrafen, dass er ihn verwirrte. Er machte kehrt und sah den ersten Stillman in der anderen Richtung davonschlurfen. Gewiss war dies sein Mann. Dieser heruntergekommene Mensch, der so gebrochen, so sehr von seiner Umgebung losgelöst war – das war gewiss der wahnsinnige Stillman. Quinn holte tief Luft und atmete mit zitternder Brust aus. Er konnte nichts mit Sicherheit wissen: dies nicht und nichts anderes. Er ging hinter dem ersten Stillman her, langsamer, um sich dem Schritt des alten Mannes anzupassen, und folgte ihm bis zur U-Bahn.
Es war nun beinahe neunzehn Uhr, und die Menschenmengen waren schon dünner geworden. Obwohl sich Stillman in einer Art Nebel zu bewegen schien, wusste er dennoch, wohin er wollte. Der Professor ging geradewegs auf die Treppe der U-Bahn zu, zahlte unten am Schalter und wartete ruhig auf dem Bahnsteig auf den Pendelzug zum Times Square. Quinn
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