Die New-York-Trilogie: Stadt aus Glas. Schlagschatten. Hinter verschlossenen Türen
Aussehens hatte gewissermaßen aufgehört zu existieren. Als er sich nun im Spiegel des Ladens sah, war er weder schockiert noch enttäuscht. Er fühlte gar nichts, denn in Wirklichkeit erkannte er sich in der Person, die er sah, nicht wieder. Er glaubte, einen Fremden im Spiegel zu erblicken, und in diesem ersten Augenblick drehte er sich rasch um. Er wollte sehen, wer der Fremde war, aber es befand sich niemand in seiner Nähe. Er wandte sich wieder dem Spiegel zu, um das Bild genauer zu prüfen. Zug um Zug studierte er das Gesicht, das er vor sich sah, und allmählich bemerkte er, dass diese Person eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Mann aufwies, den er immer für sich selbst gehalten hatte. Ja, es war mehr als wahrscheinlich, dass dies Quinn war. Aber auch jetzt war er noch nicht bestürzt. Die Verwandlung seines Aussehens war so drastisch, dass er unwillkürlich fasziniert war. Er war zu einem Penner geworden. Seine Kleidung war verschossen, zerknittert, vor Schmutz verkommen. Sein Gesicht war von einem dichten schwarzen Bart mit kleinen grauen Flecken bedeckt. Sein Haar war lang und verfilzt, hinter den Ohren zu kleinen Büscheln verflochten, und es hing ihm in Locken beinahe bis auf die Schultern hinunter. Er fühlte sich an Robinson Crusoe erinnert und wunderte sich darüber, wie schnell diese Veränderungen eingetreten waren. Es hatte nicht mehr als einige Monate gedauert, und in dieser Zeit war er ein anderer Mensch geworden. Er versuchte, sich an den zu erinnern, der er zuvor gewesen war, aber es fiel ihm schwer. Er sah diesen neuen Quinn an und zuckte die Schultern. Es war nicht wirklich von Bedeutung. Er war früher das eine gewesen, und nun war er etwas anderes. Das war weder besser noch schlechter. Es war anders, weiter nichts.
Er ging noch einige Blocks weiter stadtauswärts, dann wandte er sich nach links, überquerte die Fifth Avenue und ging an der Mauer des Central Park entlang. Bei der 96th Street betrat er den Park und stellte fest, dass er froh über das Gras und die Bäume war. Der Spätsommer hatte das Grün schon sehr erschöpft, und da und dort blickte der Erdboden in braunen, staubigen Flecken durch. Aber die Bäume über ihm waren noch voller Laub, und überall war ein Funkeln von Licht und Schatten zu sehen, das Quinn übernatürlich und schön fand. Es war spät am Vormittag, und bis zur drückenden Hitze des Nachmittags sollten noch einige Stunden vergehen. Auf halbem Weg durch den Park überkam Quinn der Drang, sich auszuruhen. Hier gab es keine Straßen, keine Häuserblocks, die die Stadien seiner Fortbewegung kennzeichneten, und plötzlich schien ihm, dass er schon Stunden unterwegs war. Er hatte das Gefühl, dass er noch ein oder zwei Tage mühsam wandern müsste, um die andere Seite des Parks zu erreichen. Einige Minuten ging er noch weiter, aber zuletzt wollten ihn seine Beine nicht mehr tragen. Eine Eiche stand in seiner Nähe, und Quinn ging auf sie zu, taumelnd wie ein Betrunkener, der nach einer durchzechten Nacht nach seinem Bett tastet. Er streckte sich auf dem grasbedeckten Hügel auf der Nordseite des Baumes aus, schob sich sein rotes Notizbuch unter den Kopf und schlief ein. Es war der erste ununterbrochene Schlaf seit Monaten, und er wachte erst auf, als es wieder Morgen war.
Seine Uhr sagte ihm, dass es halb zehn war, und er mochte nicht an die Zeit denken, die er verloren hatte. Er stand auf und begann, nach Westen zu trotten, erstaunt darüber, dass seine Kräfte zurückgekehrt waren, aber wütend auf sich selbst wegen der Stunden, die er vergeudet hatte. Er war untröstlich. Gleich, was er nun tat, er hatte das Gefühl, dass er in jedem Fall zu spät kommen würde. Er konnte hundert Jahre lang laufen und würde doch erst ankommen, wenn die Türen schon geschlossen wurden.
Er verließ den Park bei der 96th Street und ging weiter nach Westen. An der Ecke der Columbus Avenue sah er eine Telefonzelle, die ihn plötzlich an Auster und den Scheck über 500 Dollar erinnerte. Vielleicht konnte er Zeit sparen, wenn er sich jetzt das Geld geben ließ. Er konnte direkt zu Auster gehen, das Geld einstecken und sich den Weg zum Postamt und zur Bank ersparen. Aber ob Auster das Geld in bar bei sich hatte? Wenn nicht, konnten sie sich vielleicht in Austers Bank treffen.
Quinn betrat die Zelle, kramte in seiner Tasche und holte hervor, was ihm noch geblieben war: zwei Zehncentstücke, ein Vierteldollar und acht Cents. Er rief die Auskunft an, um die Nummer zu erfahren, bekam
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