Die Nichte der Marquise - Die Nichte der Marquise
aussetzen.
Sie trat an das erste Mädchen heran, streckte die behandschuhten Finger aus und nahm das Kinn der Kleinen. Ihre Züge konnten beim besten Willen nicht einmal als durchschnittlich hübsch bezeichnet werden. Ihre Nachbarin hatte derbe, großporige Haut und eine plumpe Nase, aus der schwarze Haarspitzen lugten. Dem nächsten Mädchen fehlten drei Schneidezähne, was es nicht daran hinderte, breit zu grinsen. Eine andere besaß den blassen, teigigen Teint eines Hefekloßes.
Die Marquise unterdrückte ein Schaudern und wandte sich dem nächsten Mädchen zu. Seine Größe entsprach nicht den Vorlieben ihrer Kunden, die kleine, zierliche Frauen bevorzugten. Trotzdem stand sie so aufrecht, dass sich ihre vollen Brüste unter dem dünnen Kleid abzeichneten. Die Haut war sonnengebräunt wie die aller anderen hier, aber dieses Manko ließ sich leicht beheben. Sie griff nach dem Kinn des Mädchens, um das Gesicht zu betrachten. Schmutzspuren verrieten, dass es gerade von der Feldarbeit kam.
Die leuchtenden Augen wichen ihrem Blick nicht aus, und diese Tatsache verwunderte die Marquise. Sie war gewohnt, auf Demut, Angst und Hoffnung zu stoßen. Wenn dieses Mädchen etwas davon empfand, dann verstand es sich meisterhaft darauf, diese Gefühle hinter einer großen Portion Arroganz zu verbergen.
Sie ließ das Kinn los. »Geh in die Kammer und warte dort auf mich. Und wasch dir in der Zwischenzeit das Gesicht.«
Marie raffte ihre Röcke und tat, wie ihr geheißen. Sie wusste nicht, ob das ein gutes oder ein schlechtes Zeichen war. In der Kammer standen eine Schüssel und ein Krug Wasser. Sogar ein kostbares Stück Seife hatte Françoise bereitgelegt.
Nachdem sich Marie das Gesicht gewaschen hatte, befühlte sie ihr Haar. Natürlich hatten sich die aufgesteckten Zöpfe seit dem Morgen gelockert. Sie wünschte, sie hätte einen Kamm und Zeit genug, sich präsentabel herzurichten. Doch sie hatte weder das eine noch das andere, denn die Marquise betrat den Raum und schloss die Tür hinter sich.
»Wie ist dein Name?«, fragte sie, während sie begann, ihre Handschuhe auszuziehen.
»Marie. Marie Callière.« Sie hoffte, dass ihre Stimme fest und sicher klang.
»Nun, Marie, wie alt bist du?«
»Achtzehn.«
Die Marquise nickte. »Gut. Zieh dich aus, Marie.«
Im ersten Augenblick glaubte sie, sich verhört zu haben. Aber als die Frau sie abwartend ansah, begann sie, die Knöpfe an ihrem Kleid zu öffnen, und streifte die hölzernen Sabots von ihren Füßen.
»Auch dein Hemd und den Unterrock«, sagte die Marquise neben ihr.
Marie versuchte das Zittern ihrer Hände zu verbergen, als sie gehorchte und das Band des Unterrocks löste. Mit gesenktem Kopf blieb sie stehen, ihre Arme hingen nutzlos zu beiden Seiten ihres nackten Körpers hinab.
Die Marquise ging schweigend um sie herum, berührte sie jedoch nicht. Maries Mund fühlte sich an, als wäre er mit Sand gefüllt. Sie spürte, dass ihr Gesicht glühte. Vor Scham gleichermaßen wie vor Hoffnung.
»Löse dein Haar.«
Gehorsam hob sie die Arme und griff nach den Klammern, die ihre Zöpfe auf dem Kopf festhielten. Mit gespreizten Fingern fuhr sie durch die dichten Flechten, bis das Haar auf ihre Schultern und Brüste fiel.
Die Marquise beobachtete die Bewegungen des Mädchens, während sie an den Pfosten des Bettes lehnte. Sie versuchte, ihre Erregung zu unterdrücken, und verschränkte die Arme, um dem Verlangen zu widerstehen, die hohen Brüste mit den steil aufgerichteten, rosigen Brustwarzen zu berühren. Marie besaß einen makellosen Körper. Unter der seidigen Haut saß festes Fleisch, durch die Arbeit auf den Feldern geschmeidige Muskeln, kein lasches Fett wie bei den vielen untätig herumsitzenden Adelstöchtern.
Sie bewegte sich mit einer natürlichen Anmut, die kein Lehrer ihr beigebracht hatte. Das Gesicht, befreit von Schmutz und Staub, glich den Gemälden Peter Paul Rubens'. Ein herzförmiger Mund mit einer vollen Unterlippe über einem runden Kinn. Die Nase klein und zierlich, die Augen groß und von einem beinahe unnatürlich intensiven Grün. Ihr Blick wirkte weder leer noch arglos.
Dieses Mädchen war nicht dumm. Das konnte ein Vorteil sein, freilich auch ein großer Nachteil. »Kannst du lesen und schreiben, Marie?«, fragte sie aus diesem Gedanken heraus.
»Nein, Madame la Marquise. Meine Eltern haben kein Geld, den Pfarrer zu bezahlen, damit er meine Schwestern und mich in dieser Fertigkeit unterweist. Meine Brüder ja, aber nicht wir
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