Die niederländische Jungfrau - Roman
warst ja ohnmächtig. Doch diejenigen, die uns gesehen haben, unsere Schritteder Annäherung und Entfernung, die man Tanzen nennt, beobachtet haben, wissen, daß von Kampf keine Rede war, auch wenn wir beide Fechter sind, auf zwei Seiten einer Grenze aufgewachsen. Der Feind ist der andere, der sich unaufgefordert einmischt. Ihn werde ich schlagen, auch wenn ich weiß, daß Du das nicht willst. Verzeih, daß ich diesen Brief nicht unterschreibe. Obwohl ich den Gerüchten über den Grund Deines Aufenthalts auf Raeren nicht glaube, meine ich, daß es in diesen Zeiten gefährlich ist, Gefühle schriftlich festzuhalten, sogar jene der Liebe. Wenn sie gegenseitig sind, dann wissen sie einander zu finden, so wie die Leidenschaft zum Florett strebt und das Florett zum Herzen.
Janna, ich habe Dich lieb, verleugne mich nicht!
Großer Gott. Ich mußte weg. Ich mußte fort von hier, das war ganz einfach, dafür waren nur ein paar praktische Handlungen erforderlich wie das Packen eines Koffers, der Kauf einer Fahrkarte – Kleinigkeiten. Es würde keinen besseren Moment geben. Ich würde mich nicht verabschieden, sondern in aller Frühe meinen Koffer aus dem Haus schmuggeln und auf Heinz warten, meinen hinterhältigen Gepäckträger. Mit ihm würde ich ins Dorf fahren, und sobald wir das Tor passierten, würde sich mein argloser Schatten, der an der Mauer auf mich gewartet hatte, wieder zu mir gesellen, und ich würde mit einem Gewissen nach Hause zurückkehren, so rein wie jenes, mit dem ich von dort weggefahren war.
3
Der Tag begann mit einem Schrei. Von weit unten erhob er sich immer lauter, um plötzlich in leisem Jammern zu verhallen, wie ein Pfeifkessel, der vom Feuer genommen wird. Heinz war vom Heuboden gefallen. Er war neben die Leiter getreten und vier Meter tiefer gelandet, genau neben den Ballen, die er kurz zuvor hinuntergeworfen hatte. Wir fanden ihn auf dem Steinboden, seinen Fußknöchel umklammernd. Der Bernhardiner stand schwanzwedelnd neben ihm, als gäbe es etwas zu lachen. »Gebrochen«, wimmerte Heinz, »verdammter Mist, der Knöchel ist gebrochen, und kein Mensch schert sich darum.« Egon stellte fest, daß gar nichts gebrochen war, höchstens verstaucht, aber Heinz wollte gestützt werden, als er in die Küche humpelte, wollte verbunden werden und einen Pflaumenschnaps eingeschenkt bekommen, und war nicht noch etwas von dem Gewürzkuchen übrig, den Leni gebacken hatte? Nach ein paar Gläsern rieb er sich die Augen, obwohl sie völlig trocken waren, und verkündete, dies sei das Ende. Egon setzte sich seufzend zu ihm an den Tisch. Ob es lange dauern würde, sein Ende. Heinz sah ihn mit einem Blick an, so schwarz wie der Dreck unter seinen Nägeln. Egon starrte zurück, vorgebeugt, die Hände flach auf dem Tisch. So saßen sie sich, versteinert durch Mißtrauen, eine Weile gegenüber, bis die Zwillinge mit der Frage auftauchten, wann der Unterricht beginne.
Ich hatte geglaubt, von allen nächtlichen Zweifeln geheilt zu sein, doch beim Anblick ihrer fein gezeichneten Profile kam mir wieder ein Satz in den Sinn, Wort für Wort: Doch diejenigen, die uns gesehen haben, unsere Schritte der Annäherung und Entfernung, die man Tanzen nennt … Ein Satz mit drei Hinweisen auf den Absender. Ein Fechter, mit dem ich getanzt hatte, der auf der anderen Seite der Grenze aufgewachsen war. Der einzige Mann, mit dem ich auf Raeren getanzt hatte, war der Scherge, falls man das als Tanzen bezeichnen konnte. Kleiner Jux mit der einzigen Frau auf der Fete, in seinen Worten: ein bißchen Volksgemeinschaft. Ich hatte ganz sicherlich nicht dermaßen viel Eindruck auf ihn gemacht. Er war Fechter, Deutscher, aber das galt für drei der vier Männer am Küchentisch, die mich alle ignorierten. Die Zwillinge hatten mich nicht einmal begrüßt, sie begriffen, daß es heute keinen Unterricht gab, und so zogen sie den Gewürzkuchen von Heinz zu sich heran. Friedrich leckte sich nacheinander alle Finger. Es war eine pompöse Schrift gewesen, nicht von einer Hand, die erst seit zehn Jahren ordentliche Sätze schreiben konnte. Die Buchstaben zeichneten sich durch große Schwünge aus, wie in Egons alten Briefen, aber ob diese Schrift im Verlauf von zwanzig Jahren, in denen noch viele andere Briefe geschrieben worden waren, so übertrieben geblieben war? Mit dem Verstreichen der Jahre schrumpfen nicht nur unsere Pläne, sondern auch unsere Gesten.
Nein, mit Egon hatte ich nie getanzt. Julia hingegen hatte ihn soweit bekommen, in
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