Es geht auch anders
Es geht auch anders …
»Lotti Huber, Helmut Schmidt und der Dalai Lama legen ihre Memoiren vor.«
Natürlich führte vor allem ironische Übertreibung die Feder Barbara Sichtermanns, die in der Zeit vom 11. Oktober 1990 mit Aplomb Lotti Huber in einem Atemzug nannte mit, heute kann man es mit noch mehr Berechtigung sagen als vor über zwanzig Jahren: zwei Jahrhundertmenschen.
Lotti Huber war damals außer den wenigen Fans von Rosa-von-Praunheim-Filmen und Teilen der Westberliner Schwulenszene praktisch niemandem ein Begriff. Erst nach Erscheinen ihrer Autobiografie überschlugen sich die Medien mit Charakterisierungen, die reichten von der »monströsen Muse des Kulturbetriebs« bis zu dem halb als Kompliment, halb als Verdikt gemeinten Ausspruch, Lotti Huber sei der »Gegenentwurf zu Inge Meysel«.
Und doch, so die begründete Vermutung, kam die Reihung Sichtermanns nicht ganz von ungefähr. Denn offenbar anerkannte sie die gleichrangigen individuellen Lebensleistungen dreier Zeitgenossen, die eine Haltung offenbarten; und in ihren Memoiren eine erzählerische Intelligenz und vor allem: einen Standpunkt.
Mit Hubers Autobiografie Diese Zitrone hat noch viel Saft! begann die Reihe von Lebensgeschichten in der Edition diá im Herbst 1990, die den von der FAZ mokant kritisierten Untertitel »Es geht auch anders« trug. Er war weder anmaßend noch ambitioniert gemeint, sondern speiste sich eher aus einer momentanen Eingabe, war als Slogan griffig; vor allem aber entlehnt der Brecht’schen »Dreigroschenoper«, wo der Halbsatz im Duett zwischen Polly und Mackie Messer endet mit: »… aber so geht es auch.«
Erst der ganze Satz weist auf ein Programm, von dessen Ausgestaltung wir in der Edition diá damals freilich selbst nur eine vage Idee hatten; wie hätte es auch anders sein können, wo doch die Reihe mit den Autoren Lotti Huber, Napoleon Seyfarth, Georgette Dee, Charlotte von Mahlsdorf, Knut Koch, Gad Beck und Cora Frost und einigen anderen sich erst allmählich in Umrissen abzeichnete, um sich dann doch aufs Glücklichste zu einem Ganzen zu fügen.
Sie alle stehen für eine außenseiterische Subjektivität, welche nicht vom Kollektiv geteilt wird – »die ausgeflippte Alte« (Huber), der an Aids erkrankte Ledermann (Seyfarth), das »Frauenkleid im Mann« (Dee über Dee), der ostdeutsche Transvestit, der in einem Meer staatlich geführter Museen ein privates Eiland namens Gründerzeitmuseum eröffnete und gegen vielerlei Widerstände verteidigte (Mahlsdorf), der Stricher und Schauspieler (Koch), der verfolgte schwule Jude, der im »Dritten Reich« im Berliner Untergrund überlebte (Beck), und die »Expertin des Bizarren« (Frost).
Das trotzige »Aber so geht es auch« kommt zum Ausdruck in der Haltung, die allen Autoren der Reihe gemein ist: Es sind Unbeirrte, die den aufrechten Gang pflegen. Aus dem Abseits wurde ein sicherer Ort, einer, der die individuelle Widerstandsfähigkeit erst möglich machte.
Das Leben aus einer jenseits der Konventionen liegenden Perspektive wahrzunehmen steht nicht im Gegensatz zum bürgerlichen Kanon, sondern bereichert ihn: »Dies ist ein Mensch mit Grundsätzen und einer beachtlichen Lebensleistung«, konzedierte Tilman Krause in der FAZ Charlotte von Mahlsdorf.
Zum bürgerlichen Kanon hinzu tritt freilich aufgrund der eigenen, immer gefährdeten Position der Blick für des Lebens törichte und komische Seiten – und auch für die tödlichen Späße, die das Leben mitunter bereithält.
Der Außenseiter, so kann mit einigem Recht gesagt werden, hat in einem demokratischen Gemeinwesen die Funktion des Narren an absolutistischen Höfen übernommen: »Der Narr als Persönlichkeit ist doch etwas Hochinteressantes«, sagt Lotti Huber im Gesprächsband Jede Zeit ist meine Zeit , der 1991 erschien. Und weiter: »Sein Narrentum war ein Schutz und ein Panzer wie bei einer Schildkröte, um überhaupt leben und existieren zu können. Unter diesem Närrischsein verbarg sich oft ein hochphilosophischer und sehr kluger Geist. Er brachte den Leuten seine Weisheit in komischer Form nahe und trat dann lachend ab (…) Aufgrund seiner augenzwinkernden Art sagten die Leute: ›Gott, ist der komisch‹, aber wer darüber nachdachte, hatte vielleicht das ein oder andere Aha-Erlebnis.«
Der Philologe und Kritiker Hans Mayer – als schwuler Jude ebenfalls ein Außenseiter – bezeichnete »das Monstrum als Ernstfall der Humanität«: Außenseiter und der Umgang mit ihnen sind
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