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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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von Bötticher schamlos auf ihre gesenkten Lider starrte. Ich denke, es bereitete ihm Vergnügen, daß sie nach ihrem Moment mit Gott als erstes sein Gesicht sahen, seine zerstörte Visage. Nach dem Gebet sah er zu, wie das Essen in unseren Mägen verschwand, als wären wir herrenlose Hunde. Er selbst aß fast nichts. Als die Schalen sich allmählich leerten, durchbrach er die Stille in feierlichem Ton, er sagte: »Na, Janna, haben Sie mir nichts mitgebracht? Vielleicht etwas von Ihrem Vater?«
    Lenis Augen schossen Feuer, ihr Mann kaute ruhig weiter, der verbrannte sich öfter mal das Maul, ein Brief, na wenn schon. Ich legte mein Messer auf den Teller zurück.
    »Ich habe einen Umschlag für Sie, Meister. Tut mir leid, ich wollte ihn Ihnen schon geben, aber ich sollte Sie nicht stören.«
    »Ein Umschlag, natürlich. Noch ein Brief. Der ich weiß nicht wievielte. Her damit.«
    Von Bötticher machte die gleiche Handbewegung wie Erwachsene Kindern gegenüber, die zögernd mit einerZeichnung ankommen. Ich gehorchte sofort. Wieder die Treppe hinauf, in langen Sätzen und mit viel Schwung um die Säulen herum. Ich war kindlich. Heutzutage sind Mädchen weltgewandt, selbständig, doch zu meiner Zeit wurden sie vom einen Fittich unter den anderen geschoben. Die einzige Bedingung war, daß sie selbst bereits fürsorglich waren, und die erfüllte ich nicht. Ich ließ lieber für mich sorgen, dann konnte ich in aller Geborgenheit verspielt bleiben. Daß ich mich langsam in eine Frau verwandelte, lag nicht in meiner Absicht. Nicht, weil ich ein jungenhaftes Mädchen war oder ein Rabauke oder dergleichen, sondern weil ich lieber gehabt hätte, daß alles beim alten blieb. Ärgerlich genug, daß ich mit fünfzehn Busen bekam. Diese Hügelchen unter meinen Brustwarzen gehörten nicht zu mir. Eine eigenartige Wehmut überkam mich und ließ nur langsam nach. Helene Mayer trug keinen Brustschutz beim Fechten. Ich folglich auch nicht. Mit so einem Ding unter der Jacke fordert man es geradezu heraus, genau dort getroffen zu werden. Zumindest hält man es für möglich, und damit macht man dem Gegner ein Kompliment. Meine Paraden wurden davon stark, vor allem Quart und Sixt. Wenn ich beim Fechten an der Brust getroffen wurde, wurde mir schlecht. Ich wollte diese Milchdrüsen nicht spüren, diese Mutterdinger. Eine Mutter würde ich nicht werden. Helene auch nicht. Es konnte kein Zufall sein, daß mein Idol denselben Namen trug wie die schönste aller griechischen Göttinnen, die Beschützerin junger Mädchen, der entführten, der überwältigten. Wir waren Mädchen aus Sparta, die kämpften, um nie erwachsen zu werden, und trotzdem leidenschaftlich. In meinen Tagträumen wurde ich immer öfter begehrt. Nachts wurden meine sorgfältig komponierten Sinnbilder von unruhigen, unbezähmbaren Hirngespinsten verdrängt, die mich keuchend vor Genugtuung zurückließen.
    Fechter sind oft ein wenig kindisch, spielen den Musketier, lassen sich die Haare wachsen, trinken Wein aus der Flasche, trampeln in Stiefeln herum und hauen auf den Tisch – außer sie stehen auf der Planche, denn dort herrscht blutiger Ernst. Selbst von Bötticher war verspielt, auf seine Art. Seine Aufmerksamkeit galt den Tieren, denen er menschliches Verhalten beibrachte. Wenn es gelang, freute er sich wie ein Kind. Gustav durfte den Umschlag öffnen. Das war natürlich ein Spektakel: Schau, was mein Kaninchen alles kann, und sieh, wie egal mir die Post deines Vaters ist. Das Tier knabberte den Umschlag mit maschinenmäßiger Hingabe auf, ordentlich am Rand entlang. Als es bei der Ecke angelangt war, ruckte es sogar noch daran, so daß sich der abgenagte Rand löste und verputzt werden konnte. Mit einem Brieföffner wäre es nicht besser gegangen. Von Bötticher schob die Hand in den Karton, zog den Brief heraus und begann zu lesen. Drei Seiten lang wagte ich kaum zu atmen. Ich starrte gespannt auf seine Augen, als spiegelten die die Buchstaben wider, doch sie flogen über den Text und zeigten, wie Leni befürchtet hatte, immer mehr Wut.
    »Ich würde es Ihnen ja gern vorlesen, aber es ist zu peinlich. Sie sind seine Tochter, ich habe kein Recht, das Bild, das eine Tochter von ihrem Vater hat, zu zerstören. Ich werde schweigen.« Er faltete den Brief zusammen und schob ihn in den Umschlag zurück. Darin steckte noch etwas.
    »Und was haben wir hier noch?«
    Es war ein vergilbtes Blatt Papier mit einer Abbildung. Ich platzte vor Neugier, doch von Bötticher ging zur

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