Havenhurst - Haus meiner Ahnen
1. KAPITEL
Im Morgengrauen verließen fünfzehn Bedienstete in der traditionellen blau-silbernen Livree des Earls von Havenhurst den alten Herrensitz. Jeder von ihnen trug eine dringende Botschaft bei sich, die Lady Elizabeths Onkel, Mr. Julius Cameron, verfaßt hatte und die an fünfzehn über ganz England verteilte Adressen geliefert werden sollten.
Die Empfänger dieser Botschaft hatten nur eines gemeinsam: Sie hatten einmal um Lady Elizabeths Hand angehalten.
Nachdem diese fünfzehn Gentlemen die Botschaft gelesen hatten, zeigte sich jeder einzelne von ihnen über den Inhalt geschockt. Einige schüttelten ungläubig den Kopf, andere reagierten mit Hohn und Spott, und wieder andere spürten eine Art grausamer Befriedigung.
Zwölf der Herren verfaßten auf der Stelle eine Antwort, in der sie Julius Camerons empörende Empfehlung ablehnten, und machten sich anschließend ungesäumt auf den Weg zu Freunden, um diese pikante Ungeheuerlichkeit unverzüglich weiterzuerzählen.
Drei Empfänger reagierten anders.
Lord Marchman war gerade von seiner Lieblingsbeschäftigung, der Jagd, heimgekehrt, als er die Botschaft erhielt.
„Da hol’ mich doch der Teufel..murmelte er, als er das Schreiben las, welches besagte, daß Mr. Julius Cameron die Absicht hatte, seine Nichte, Elizabeth Cameron, Countess of Havenhurst, umgehend und angemessen zu verheiraten. Zu diesem Zweck wäre er bereit, Lord Marchmans zuvor abgewiesenen Heiratsantrag in Betracht zu ziehen. Angesichts der Tatsache, daß seit besagtem Antrag inzwischen fast zwei Jahre vergangen waren, erbot sich Mr. Cameron, seine Nichte für eine Woche in Begleitung einer Anstandsdame zu ihm zu schicken, damit auf diese Weise die alte Bekanntschaft wieder aufgefrischt werden konnte.
Lord Marchman vermochte kaum zu glauben, was er da las. Er fuhr sich mit der Hand durchs Haar und schaute geistesabwesend gegen die Wand, die vollständig mit seinen kostbarsten Schätzen behängt war: ausgestopfte Köpfe der Tiere, die er in Europa und anderswo gejagt und erlegt hatte. Ein Elch starrte ihn aus Glasaugen an, und daneben zog ein wilder Eber die Lefzen hoch.
„Wer hätte das gedacht?“ murmelte Lord Marchman. Das bezaubernde Bild der jungen Lady entstand in seinem Inneren - ein unglaublich liebreizendes Gesicht mit grünen Augen, einer Haut wie Seide und weichen, lächelnden Lippen.
Als John Marchman Elizabeth Cameron vor zwei Jahren kennengelernt hatte, war sie für ihn das schönste Mädchen gewesen, das er jemals gesehen hatte. Zweimal war er ihr begegnet, und danach war er von der charmanten, ungekünstelten Siebzehnjährigen so hingerissen gewesen, daß er zu ihrem Bruder gestürmt war und um ihre Hand angehalten hatte. Er war abgewiesen worden.
Anscheinend beurteilte Elizabeths Onkel, der jetzt ihr Vormund war, John Marchman nun anders. Möglicherweise steckte die reizende Lady Elizabeth aber auch selbst hinter dieser Entscheidung. Vielleicht hatten ihr die beiden Treffen im Park damals ebensoviel bedeutet wie ihm.
John stand auf, trat an die mit unterschiedlichsten Angelruten behängte Seitenwand und wählte sorgfältig eines dieser Geräte aus. Die Forellen würden heute nachmittag beißen ... Bei diesem Gedankengang mußte er an Elizabeths herrliches, im Sonnenlicht goldleuchtendes Haar denken, das ihn damals an die glänzenden Schuppen einer durch die Wasseroberfläche aufspringenden Forelle erinnert hatte.
Dieser Vergleich erschien Lord Marchman jetzt so treffend und so poetisch, daß er sich vornahm, Elizabeth mit genau diesen Worten ein Kompliment über ihr Haar zu machen, nachdem er das Angebot ihres Onkels akzeptiert hatte und sie dann im nächsten Monat sein Gast sein würde.
Sir Francis Belhaven war der vierzehnte Empfänger der Botschaft. Er las sie, während er mit einem seidenen Hausmantel bekleidet in seinem Schlafgemach saß und Eloise, seine Mätresse, nackt im Bett lag und auf ihn wartete.
„Francis, Darling“, schnurrte sie und fuhr mit den langen Fingernägeln langsam über die seidenen Bettlaken, „was steht denn so Wichtiges in diesem Schreiben, daß es dich davon abhält, zu mir zu kommen?“
Sir Francis schaute auf und zog die Augenbrauen zusammen. „Zerkratze diese Laken nicht, meine Liebe“, sagte er. „Sie kosten fünfzig Pfund das Stück.“
Er war ein solcher Geizkragen, daß sich Eloise manchmal wirklich schon fragte, ob sie von ihm wohl mehr als ein, zwei Gewänder pro Jahr erhalten würde, falls sie sich dazu
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