Die niederländische Jungfrau - Roman
Mitte zwei Dreiecke, zu beiden Seiten davon in zwei Meter Abstand die Startlinien, drei Meter dahinter die Warnlinie für Säbel- und Degenfechter, eine Waffenlänge dahinter die für Florettisten, noch einen Meter und keinen Schritt weiter die hintere Grenzlinie. Das einzige, was noch an den rauschenden Tüll der Ballroben erinnerte, waren die Gardinen, die sich vor den halb geöffneten Terrassentüren bauschten. Es war warm. Ich zupfte am Kragen meiner verstärkten Jacke und sah mich im großen Spiegel. Die Fechterin. Mein Gesicht und die Hände hoben sich braun vom weißen Anzug ab, den meine Mutter schnell noch in Bleichsoda gesteckt hatte. Ich griff nach meinem Lieblingsflorett, zog mir den Handschuh über, nahm, die Füße im rechten Winkel zueinander, die Grundstellung ein. Gruß. In dem Moment betrat von Bötticher den Saal. Er hinkte, das sah ich im Spiegel zum erstenmal.
»Gut so, grüßen Sie sich nur selbst. Vorläufig sind SieIhr einziger Gegner. Ein gefürchteter, wie jeder Fechter weiß.«
»Wann kommen die anderen Schüler?«
»Zwei junge Säbelfechter, mit denen müssen Sie sich begnügen. Keine Bange, ich will sie wieder mit dem Florett üben lassen. Die kennen Sie bestimmt, diese jungen Wichtigtuer, die keine anständige Riposte hinkriegen, aber schon mit einer großen Waffe rumfuchteln wollen. Tempo und Ausdauer, darauf ist die Jugend angewiesen, mehr hat sie nicht zu bieten. Sie hätten schon letzte Woche hiersein müssen. Vor zwei Tagen bekam ich ein Telegramm von ihrer Mutter, es gibt Probleme. Noch ein bißchen Geduld. Bis dahin möchte ich sehen, ob Sie so gut fechten, wie Ihr Vater behauptet.«
Er kam, das Bein nachziehend, irritiert näher. »Ich gehe nicht immer so. Manchmal macht es sich bemerkbar. Zeigen Sie mir Ihre Waffe.«
Ich nahm mein Florett an der Klinge und hielt ihm stolz den Griff hin. Kein abfälliges Wort über diese Waffe, oder er hätte es sich für immer mit mir verdorben. Von Bötticher knetete das Leder, streckte den Arm, sah prüfend die Klinge entlang, balancierte das Florett zwischen Daumen und Zeigefinger, drückte noch einmal zu, drehte das Handgelenk, nickte. »Gut, dann zeigen Sie mal, ob Sie dieser Waffe würdig sind. Stellung!«
»Ohne Waffe?«
Sofort traf er mich voll an der Brust. »So ein Gänschen! Sie hören ›Stellung‹ und stehen in Stellung, verstanden? Oder muß ich es auf französisch sagen? Stellung!«
Ich nahm Stellung, die Handfläche im Handschuh leer vorgestreckt.
»Was ist das?«
Er tippte an meine linke Hand, die ich hinter mir in die Höhe hielt. »Entspannen Sie die Finger! Locker, Sie halten doch keinen Kutscher an!«
Danach maß er den Abstand zwischen meinen Füßen, trat gegen die hintere Ferse, die vielleicht ein Grad von der Linie abwich, die er sich vorstellte.
»Tsss … Ausfall!«
Er ließ mich lange im Ausfall verharren, bis meine Oberschenkelmuskeln zitterten, korrigierte mich bis auf den letzten Millimeter. Ich wußte, daß er jeden Moment rufen konnte: »Stellung!«
Ich schoß wieder zurück. Der Meister gab mir meine Waffe und schlug sich an die Brust. »Und jetzt bitte einen schönen Ausfall.«
»Sie tragen keine Jacke.«
Er schloß einen Knopf, eine fünf Millimeter große Muschel. »Dieser Knopf ist die Trefffläche. Sie sollten sich besser Gedanken über den Ein druck machen, den Ihr Ausfall auf mich macht, und nicht über den Ab druck.«
Beinahe vermißte ich Meister Louis, der vielleicht kein richtiger Fechtmeister war, mich aber bewunderte. Louis, der vor Freude aufstampfte, wenn ich einen Treffer setzte. Ich war seine beste Schülerin, er hätte mich lieber an eine Pariser Akademie fahren sehen als zu einem obskuren Militär in Deutschland. Offiziere verstanden nichts vom Damenfechten. Als von Bötticher nach einer Viertelstunde Schluß machte, fürchtete ich, daß Louis recht gehabt hatte. Mein Körper war von den Fußsohlen bis zu den Fingerspitzen begutachtet worden, er hielt ihn für einen brauchbaren Apparat, geschmeidig, damit ließe sich arbeiten, doch meine Reaktionsfähigkeit, Schnelligkeit, Taktik, kurz und gut, alles, wofür ich in Maastricht Preise bekommen hatte, hatte er nicht sehen wollen. Er hatte anderes zu tun, ich sollte einfach gegen mein Spiegelbild fechten. Ich hoffte, er würde von draußen aus doch heimlich zuschauen. Die Gardinen flatterten, die Tür fiel laut ins Schloß. Im Spiegel sah ich die gefürchtete Gegnerin. Sie verunsicherte mich, und Unsicherheit ist der Todesstoß
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