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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Danach setzte Leni ihr volles Gewicht ein, um die obskure Mischung gut durchzukneten. Kräftig walkend stand sie an der Anrichte, bis sich alles rot färbte: die Füllung, ihr Gesicht und die Luft vor meinen Augen. Währenddessen mußte ich zusehen, wie ich das Schmalz auf die Brote kriegte.
    »Geh nur zurück in den Saal«, sagte Leni. »Sieh dir den Zirkus nur an. Nicht, daß es sich lohnt. Wo ich herkomme, da schlagen wir einfach drauflos, wenn wir in unserer Ehre angegriffen werden. Deine Frau beleidigt? Da!« Sie zog eine verschmierte Faust aus der Schüssel. »Ehrliche Handarbeit, mitten auf der Straße. Die da oben schlagen sich heimlich, weil die einfachen Leute nicht sehen sollen, was sie treiben. Wir könnten uns ja ein Beispiel daran nehmen! Gott bewahre. Sie halten es für eine Schande, wenn ein Mann den Kopf wegzieht, wenn er mit einem Schwert bearbeitet wird. Zustände wie im Mittelalter! Nur gut, daß der Führer diesem Zirkus jetzt langsam ein Ende macht.«
    Konnte man das, was im Fechtsaal vor sich ging, als Zirkus bezeichnen? Ein Zirkus braucht Publikum, obwohl ich mich da nie hochverehrt gefühlt habe. Vielmehr unbehaglich. Als setzte man sich bei einem Familienessen dazu, bei dem hinter der Fassade alte Fehden ausgetragen werden. Der alte Clown verbirgt unter seiner Schminke den Unmut wegen der fehlenden Anerkennung, tobt sich jede Nacht auf dem Trapezmädchen aus, die Art von Elend. Und immer nur lächeln, sobald die Lichter angehen, vor diesem verdammten Publikum. Der Zirkus der Satisfaktion brauchte keine Topfgucker. Früher, als hitzköpfige Männer beim geringsten Anlaß ihre reichverzierten Waffen kreuzten, zog die Mensur sich auf Fechtplätze tief im Wald zurück. Niemand brauchte zu sehen, wie Hochmut mit dem Tod bezahlt wurde. Es ging niemanden etwas an, daß Gesichtsverlust mit offenem Visier und gezogener Waffe bekämpft wurde. Gewinner oder Verlierer gab es nicht, denn es ging um die Ehre, und die wurde einem Toten vielleicht noch eher zuteil als einem Lebenden. Man blieb sich freund. Die Freunde im Fechtsaal blieben beide am Leben. Sie hatten das Glück, daß man hundert Jahre zuvor beschlossen hatte, der wahre Feind stehe einem nicht gegenüber, sondern stecke in einem selbst: Schande und Schiß. Für einen Sieg über den inneren Schweinehund reichte es, sein Leben lang gezeichnet zu sein.
    Der Fechtsaal war abgeschlossen. Ich rüttelte an der Klinke, der Otter öffnete die Tür einen Spaltbreit, nahm die Brote entgegen und schloß mich wieder aus. Zum Glück boten die Fenster auf der Terrassenseite beste Sicht auf das Duell, jemand hatte die Vorhänge aufgezogen. Sogar ein Terrassenstuhl stand bereit. Die Krieger hatten die Hälfte der Partie bereits absolviert. Dem einen strömte schon Blut über das Gesicht, doch das Duell wurde nicht unterbrochen. Dies war kein Kampf. Die verkrampften Bewegungen aus Handgelenk und Ellbogen heraus waren die Folge des kurzen Abstandes, nicht von Haß oder Wut. Spontane Emotionen mußten bezwungen werden. Im Comment waren die Regeln für den Sieg über sich selbst bis in alle Einzelheiten festgelegt. Mensur. Dieses Wort bezog sich nicht nur auf den Abstand der beiden Paukanten, es war vor allem die Leidenschaft, die hier gemessen wurde.
    »Halt!«
    Ein Treffer. Der Unparteiische schritt ein, um die Paukanten zu inspizieren. Zu meiner Verwunderung befand er, alles sei in Ordnung. »Nicht tief genug«, meinte er zu der Kopfwunde. Die Waffen wurden desinfiziert, und »los!«, schon ging es weiter, Schlag auf Schlag, Hieb auf Hieb, bis zum letzten Gang. Danach wurde es still. Alles drängte sich um die beiden. Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, konnte aber nichts sehen. Da wurde ich gerufen.
    »Sie ist Arzttochter«, hörte ich von Bötticher sagen, »sie fürchtet sich nicht vor Blut.«
    Er erwartete mich auf dem Flur. Ob er etwas gemerkt hat, fragte ich mich. Ob ihm bewußt ist, daß er gerade die erste Liebe in jemandes Leben geworden ist? Dafür muß man nichts tun, man kann diese Rolle auch nicht ablehnen. Lehrerinnen, vor allem die hübschen, wissen das. Für manche ist diese Verewigung ein Grund, Unterricht zu geben, doch von Bötticher sah mich noch genauso skeptisch und müde an wie auf dem Bahnhof in Aachen.
    »Ich brauche dich«, sagte er. »Unser Paukarzt hat eine unsichere Hand. Ich dachte, du hast bestimmt schon mal beim Nähen geholfen.«
    Ich wußte, wo ich suchen mußte, wenn mein Vater nach seinen chirurgischen Instrumenten rief,

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