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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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warum, jedenfalls beschloß sie, ich solle es ihnen bringen. Ein Tablett voller Schnaps und Schmalz. Vorsichtig ging ich damit zum Fechtsaal, Schritt für Schritt zu meiner ersten Verliebtheit.
    Ich bestreite gern den Eindruck, daß ich mich in eine Uniform verliebte. Das Klischee, wonach Frauen Uniformen begehren, weil diese einem Männerkörper etwas Entschlußfreudiges gäben, galt nicht für Mädchen meiner Generation. Wir nahmen ihnen die Uniformen ab und zogen sie selbst an. Wir trugen als erste Jacketts, die dem Offiziersrock abgeschaut waren. Wir trugen Epauletten auf unseren Blusen und darüber einen Trenchcoat mit Baskenmütze. Im übrigen gingen alle Männer in jener Zeit draußen in Uniform. Sogar der Mann, der unsere Küchenabfälle abholte, trug eine gestreifte Schürze mit dazu passender Mütze. Von all den geschniegelten und gestriegelten Männerkörpern, die ihre Schärpen und Abzeichen in den Spiegeln des Fechtsaals bewunderten, wollte ich nur einen. Gut, ich gebe zu, der war so ausstaffiert, daß jede Frau, selbst meine prüde Mutter, das Feuer in ihrem Schoß hätte brennen spüren. Es dauerte einen Moment, bevor ich ihn sah. Ungeübte Serviererinnen heften den Blick auf das Tablett anstatt auf die Gäste. Die mußten sich selbst einschenken. Ich sah gepflegte Studentenhände nach der Flasche greifen, als wäre sie ein Kätzchen,hörte ihr Gemurmel, traute mich aber erst den Blick zu erheben, als ich sicher war, daß die Gläser stehenblieben. Es waren hübsche Jungs darunter. Ernste Gesichter, die meisten gezeichnet. Ein beiläufiger Kratzer auf der Wange, eine Schramme an der Stirn. Nichts Ernsthaftes. Als hätte sie jemand, einen nach dem anderen, abgehakt. Einige Gäste trugen keine Schärpe. Der im Doktorkittel schien mir zu jung, um Arzt zu sein. Ein anderer, im schwarzen Rock, sah aus, als wäre etwas Schweres auf ihn hinabgefallen, kurz und breit, mit hervorquellenden Augen. Die Duellanten erkannte ich sofort von einer Illustration aus meiner Sammlung. Ein Geschenk meiner Tante, die Bilder und Artikel übers Fechten in deutschen Zeitschriften für mich ausschnitt. Der Herr Paukant . Auf dieser Illustration hielt ein Mann, eingepackt wie eine Kalbsroulade, ein Rapier in die Höhe. Das kryptische »Paukant« paßte, wie ich fand, genausowenig wie das altväterliche »Herr« zu diesen Studenten, die kaum hörbar das angebotene Glas ausschlugen, doch sie trugen die gleichen gefütterten Ärmel und ebenfalls einen Lederlappen vor der Halsschlagader. Wenn gleich die Paukbrille angelegt wurde, würde zwischen all diesen Schutzvorrichtungen nur eine kleine, bleiche Trefffläche übrigbleiben, wie auf der Leinwand eines Gemäldes, das noch fertiggestellt werden muß. Jetzt war die Haut dort noch unversehrt. Der Gestauchte hob strafend einen Finger. Kein Alkohol für die teilnehmenden Paukanten. Sie durften essen, doch ihre Mägen waren bereits mit Nervosität gefüllt. Das sah jeder, obwohl sie die Angst in ihren noch nicht maskierten Augen zu verbergen versuchten. Ich mußte weiter, wurde aber außer Gefecht gesetzt, als ich mich umdrehte. Zwanzig Mann wurden Zeuge des Diebstahls eines Mädchenherzens. Der Täterhatte sich nicht viel Mühe zu geben brauchen, das Opfer stand da mit dem einfältigen, bedrückten Blick, mit dem man eine heimliche Liebe anzusehen hat.
    Es war nicht nur seine tiefschwarze Attila mit der weißen Schnürung oder seine Pelzmütze mit dem Kolpak und den silbernen Litzen. Mein Atem stockte kurz beim Anblick des blankpolierten Totenkopfs mit den gekreuzten Knochen, der an seiner Pelzmütze befestigt war. Memento mori. Er trug den Tod auf der Stirn, so wie Wüstenvölker ihr Leichengewand als Turban auf dem Kopf tragen. Was jedoch alles entschied, waren seine Augen. Vielleicht hatte ich sie mir bisher noch nicht richtig angesehen, weil meine Aufmerksamkeit von der Narbe abgelenkt worden war, die jetzt nicht mehr zu sein schien als eine überschwengliche Unterscheidung von den Schmissen auf den Studentengesichtern. Seine Augen waren unergründlich und klar zugleich. Vielleicht schaute er so ja nur, wenn er seine Uniform trug, wenn er unter diesem Trauerrand aus Kaninchenfell des Todes gedachte. Wie dem auch sei, ich stand da mit meinem Tablett, während er ein Glas ergriff, ohne es zu füllen.
    »Bundesbrüder!« rief er. Der Saal verstummte. »Wie ich schon sagte: Wir werden improvisieren müssen. Wir sorgen dafür, daß der Comment möglichst ordnungsgemäß eingehalten

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