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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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gedämpft, wie auch die Stimmen der beiden Studenten, die sich nicht zu Tisch gesetzt hatten, sondern in einer dunklen Ecke nur dem Alkohol zusprachen. Dieser erste Sonnabend im Oktober war der Mensur vorbehalten. Durch das Fenster sah ich unter der Gartenlaterne den Herbst toben, der Sommer war zu abgebrochenen Zweigen, Blattschnipseln, Splitt, Staub zerbröselt, der noch einmal kurz auflebte. Wenn der Wind sich legte, würde es auf Raeren bestimmt totenstill werden. Jetzt wieherten die Pferde noch gegen die Naturgewalt an, und eine Spinne vor dem Fenster versuchte, sich in ihrem zitternden Netz zu halten. Vielleicht war es an der Zeit, in die Stadt zurückzukehren.
    Wir saßen zu zehnt bei Tisch. Der Meister hatte außer dem Otter auch sechs Paukanten eingeladen, zwei hatten einen verbundenen Kopf, die anderen einen kleinen Verband an der Wange. Der Unparteiische, der Gestauchte, der schon beim vorigen Mal Schiedsrichter gewesen war, hatte sich bereits auf das Essen gestürzt, noch bevor ein Toast ausgebracht werden konnte, und spachtelte weiter, während einer der Paukanten ein Gebet murmelte. Die Zwillinge saßen mit großen Augen dabei. Sie hatten zum ersten Mal eine Mensur miterlebt und versuchten, sich mustergültig zu betragen, obwohl sie während der Duelle vor lauter Nervosität an ihren Fäusten gekaut hatten. Der Unparteiische war früher fertig als der Rest, richtete sich grienend auf, band sich umständlich die Serviette ab, stieß dabei einem Paukanten an die Wange und ließ gerade noch im letzten Moment einen Rülpser in seiner Faust verschwinden. Egon tat, als merke er es nicht. Seine Füße trafen meine, blieben dort sogar liegen. Ein krampfendes Gefühl kroch hinauf in meinen Schoß. Aus Angst, mein Tischherr könnte das Phänomen diagnostizieren, zog ich die Beine zurück, doch der Arzt warf nur einen Blick auf mein Dekolleté. Noch ein Grunzer.
    »Eine niederländische Schönheit, Herr von Bötticher, Sie wissen doch, wie vorsichtig man damit sein muß.«
    Egon sah ihn nicht an. Er genoß sein eigenhändig zubereitetes Gericht, eigentlich wollte er, daß man sich nur darüber unterhielt. Er hatte es bereits ein paarmal betont: Er habe das fabriziert, nicht Leni, die könne das nicht mit ihren kleinen Händchen, die eigneten sich für rheinische Gerichte, diese Armeleuteküche, nein, natürlich meine er das nicht so, aus Resten ein Göttermahl zu bereiten sei eine große Kunst, und sie beherrsche sie, dies aber sei eine edle Speise. Er hatte den Bräter, einen Daumen in der Soße, auf den Tisch geknallt und schmatzend das Gericht benannt: Rothirsch mit Maronenpilzen, aus dem eigenen Revier, ein Zwölfender, sehen Sie sich das Geweih in derKüche mal an, sie hätten das Tier noch früh in der Brunft geschossen, hätten sie es einen Monat später getan, dann wäre es von dem vielen Röhren bereits ausgemergelt gewesen.
    »Mata Hari, Sie wissen doch?« verdeutlichte der Otter. »Ihr Land blieb jungfräulich im Krieg, aber sie! Ach, das war vielleicht eine dramatische Frau! Habe ich Ihnen mal erzählt, daß ich sie tanzen sah, in Wien? Aber nur tanzen, wirklich, sonst nichts. Das war schon beeindruckend genug. Es war eine Darbietung mit Schleier, zum Schluß ließ sie sich fallen wie ein Lemming. Nackt! Wäre es nicht denkbar, Herr von Bötticher, daß diese Dame uns ebenfalls von den Franzosen geschickt worden ist? Sehen Sie, sie wird schon rot. Aus Maastricht kam sie doch, nicht? Die Zeit ist reif für derlei Aktionen, die Zeit ist so reif wie dieser herrliche Berlepsch.«
    Er legte seinen Arm kurz um meine Schultern, ich straffte den Rücken mit einem mysteriösen Lächeln. Mata Hari, gut, damit war ich einverstanden. Wenn ich wirklich zum Auskundschaften entsandt worden war, dann hatte ich meine Aufgabe hingebungsvoll erfüllt. Mein Vater wollte eine Antwort, hatte er etwa kein Recht darauf nach all den Jahren? Egon kaute unbeirrt weiter.
    »Donnerwetter, Herr Reich, Hut ab. Das haben Sie gut herausgeschmeckt.«
    »Wie bitte?«
    »Die Äpfel, das sind tatsächlich Berlepschs. Der Garten liegt voll davon, Sie dürfen sich gern welche sammeln, bevor Sie fahren.«
    Der Otter war perplex ob dieser Reaktion, er hatte auf eine scherzhafte Entgegnung gehofft, Männer unter sich. Wieder dieser Arm um meine Schultern.
    »War nur ein kleiner Scherz, das wissen Sie doch. Ich hätte Sie nicht mit dieser Kurtisane vergleichen dürfen, das war schändlich, Sie sind ein untadeliges junges … Äpfelchen.«
    Wenn

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