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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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natürlich viel besser, die Franzosen sich weiter im Rheinland breitmachen zu lassen. Besser für Bohemiens wie Sie, Kognaktrinker, Knoblauchesser. Davon hat ein einfacher Student wie ich natürlich keinen blassen Schimmer.«
    Gefeixe, jetzt lauter. Vor dem Spiegel rückte sich der Magere die Totenkopfmütze auf dem Kopf zurecht, der Unparteiische legte ihm den Arm um die Schultern undsprach zu ihrem verbrüderten Spiegelbild: »Mal überlegen, mal überlegen. Wenn es nicht das Rheinland ist, was dann? Das neue Reichsbürgergesetz etwa? Die Reichsautobahn? Oder ist es der Vierjahresplan für die Armee, an dem Sie sich stören? Ich komme nicht drauf, Sie müssen mir helfen.«
    »Artillerie ist ein schlechtes Mittel, um die Wirtschaft zu sanieren«, sagte der Otter. »Man sollte das Geld besser für Wissen ausgeben. Was man einmal im Kopf hat, kann einem niemand mehr nehmen.«
    Der Unparteiische sah ihn mitleidig an. »Glauben Sie wirklich, daß ich auf diese Sprüche hereinfalle? Ihre Wirtschaft ist nicht die meinige, Herr Reich, das wissen Sie sehr wohl. Ich spucke auf Ihre Logen, die angeblich mystisch sind, aber in Wahrheit nur nach den Pfeifen der Juden tanzen, die die Zeitungen, die Universitäten beherrschen und so unsere Kultur immer weiter vergiften. Aber nicht mehr lange, meine Herren, nicht mehr lange. Ach, was haben Sie doch Angst vor Ihrem eigenen Volk!«
    Seine Schuhe knarrten, während er seine Runden drehte. Ich stellte mir vor, wie er sie morgens zuband, rot anlaufend, weil seine Arme zu kurz für seinen Körper waren. Ich war mir sicher, daß er die Schuhe abends ordentlich nebeneinanderstellte, bevor er in sein armseliges schmales Bett stieg, daß er eine Stunde lang wach lag, bevor er sich dem Schlaf hingeben konnte, daß er manchmal vor unbefriedigtem Trieb und Einsamkeit wimmerte. Und ich sah eine dunkle Landstraße vor mir, zwanzig Jahre später, auf der Egon seine Kutsche vor einem Landstreicher anhalten ließ, der reuevoll seine Mütze zerknautschte. Jetzt aber drehte er seine Runden im Hause seines Gastgebers,als wäre er der einzige Bieter bei einer Auktion, und blieb vor einem Jagdgemälde an der Wand stehen.
    »Ist es Angst, Herr von Bötticher, weshalb Sie sich hinter Ihrem alten Geld verschanzen, weit weg vom Plebs? Waren sie nicht Ihresgleichen, als sie als Kanonenfutter in Ihrer Vorhut fielen? Sind sie nicht der Grund, weshalb Sie lebendig zurückgekommen sind, und sie nicht?«
    »Legen Sie die Mütze zurück auf den Tisch«, sagte Egon beherrscht.
    Der Student wollte gehorchen, wurde aber vom Unparteiischen daran gehindert.
    »Wissen Sie eigentlich, daß dieses Emblem schon seit zehn Jahren der SS gehört? Die tragen jetzt den Totenkopf, weil sie wirklich todesbereit sind. Die gesamte Spitze, einer wie der andere, alle sind sie exzellente Fechter. Und sie führen die Revolution durch, von der Sie nichts wissen wollen. Sie sitzen mit dem Rücken zur Weltbühne, in den Plüsch eines Varietétheaters geduckt. Ich kann Ihre Ansichten der Partei gegenüber nicht länger verschweigen. Es tut mir wirklich leid, ich muß gehen, besten Dank an Leni für die nahrhafte Mahlzeit. Anton, Leo, Willy und wer sich sonst noch gerufen fühlt, folgen Sie mir. Hier stinkt es nach Antiquitätenwachs. Heil Hitler!«
    Drei Mann marschierten aus dem Saal, ein Paukant murmelte etwas von Auto und folgte ihnen. Die Tür fiel laut ins Schloß. Egon klopfte den Aschekegel ab, steckte sich die Zigarre wieder in den Mund und ging zur Saalmitte, um die Mütze aufzuheben. Ich fand es bewundernswert, wie ruhig er dagesessen und geraucht hatte. Nicht einmal Ringe blasend, einfach Rauch inhalierend und wieder ausstoßend. Der Arzt unterbrach die Stille mit einem rasselnden Räuspern.
    »Hm, ich entschuldige mich bei der Dame, ich habe mich geirrt. Der wahre Spion bei diesem Essen hat gerade den Saal verlassen. Wir sollten ihn eigentlich nicht mehr als Unparteiischen einladen, Egon. So ein dreister Flegel.«
    Die vor Ort zurückgebliebenen Paukanten wechselten nervöse Blicke. Der große Tag, der sie in einem Blutsverband hätte verbrüdern sollen, hatte in Zwietracht geendet. Ihre illegale Zurichtung schien sie schon jetzt zu reuen. Vielleicht wären sie auch lieber in die Stadt zurückgefahren, anstatt in der Vergangenheit Raerens zu bleiben. Der Meister sah ihre Zweifel.
    »Ich will euch mal etwas über dieses Zeichen erzählen«, sagte er. »Den Totenkopf. Heutzutage leben wir nicht mehr mit dem Tod, wir finden ihn

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