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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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ausgelassene Fohlen, aufs Feld hüpften.
    »Herr von Bötticher, Ihnen hab ich das doch auch geraten. Wissen Sie noch? Fechtunterricht für die Arbeiterklasse. Raeren wäre dafür sehr geeignet. Wir haben Platz genug für Kraft durch Freude.«
    »Freude«, sagte von Bötticher, »hat nichts mit Fechten zu tun. Fechten ist eine Kunst, etwas ganz anderes als zu schauen, wer am weitesten in einen Sandkasten springt. Wie soll ich dir das erklären. Ein Unterschied wie zwischen meiner Megaira und einem Ackergaul.«
    »Was hätte ich gern so ’ne Reise gemacht. Und wenn auch nur ins Kabarett.«
    »Freizeit, die vom Staat kontrolliert wird, ist keine Freizeit.«
    »Sie gönnen es den Arbeitern nicht, Sie alter Stahlhelmfritze.«
    Das Wort krachte wie ein Blitz am Himmel. Ich hatte keine Ahnung, was es bedeutete, aber Leni schoß vom Stuhl hoch, griff nach dem Nächstbesten – der Fleischgabel – und fuchtelte damit vor Heinz’ Gesicht herum. »Herr von Bötticher, Sie müssen ihm verzeihen. Sie wissen, er verträgt keinen Alkohol. Sehen Sie nur. Er ist eine elende Töle, die laut bellt, aber nicht beißt. Er wird Ihnen nie in die Quere kommen, das wissen Sie doch! Um Himmels willen.«
    Von Bötticher seufzte tief. »Schon gut, Leni, ich finde es überaus spannend, diese Kommunistensprüche. Stahlhelmfritze, interessant. Falls du es vergessen haben solltest, Heinz, wir haben für dein Vaterland gekämpft.«
    »Das haben wir alle«, sagte Heinz. »Und ich bin überhaupt kein Kommunist.«
    »Kommunist, Sozialist … was hast du eigentlich im Krieg gemacht? Das habe ich dich noch nie gefragt. Warte, ich gieß dir eben noch mal nach. Dies, solltest du ihn noch nicht probiert haben, ist ein sehr guter Riesling aus dem Rheingau. Ein großartiger nationaler Wein, sehr nationalsozialistisch, denn ich teile ihn ja mit dir, meinem Arbeiter.«
    Leni stand noch immer mit der Fleischgabel da. Sie sah ihren Mann nicht an, er war zu einem Ding geworden, über das – nicht zu dem – man spricht, sie wollte, daß ihr Brotherr das auch verstand. »Geben Sie ihm nichts mehr zu trinken. Er verträgt das nicht, sehen Sie doch, er taugt zu nichts mehr.«
    »Ein richtiger Mann verträgt doch wohl ein Glas Wein? Sogar die Damen trinken! Also, Heinz, wo waren Sie Vierzehn-Achtzehn?«
    »Fünfundzwanzigstes Reservekorps, Lodz. Bis ich im Lazarett landete.«
    Auf dem Feld drehten sich die Zwillinge, die einander an den Armen gepackt hatten, wie rasend im Kreis. So hatten wir auf dem Schulhof herumgetollt. Wenn man die Steinplatten unter seinen Füßen vorbeisausen sah, quetschte man die Handgelenke des Gegenübers fast zu Mus, denn Bremsen war jetzt nicht mehr so leicht. Am besten schloß man die Augen, schaudernd und wohlig zugleich. Die Zwillinge hatten sich längst der Zentrifugalkraft hingegeben. Ihnen konnte nichts passieren, sie waren perfekt ausbalanciert.
    »Nehmen Sie sich ein Beispiel an uns«, sagte von Bötticher. »Wir erleben Freude im geschlossenen Kreis einer erlesenen Gesellschaft. Warum sollte man da die gesamte Masse mit einbeziehen? Was gibt es noch zu genießen, wenn alle das gleiche machen? Diese neue Politik wendet sich an das Neutrale. Die gesichtslose Masse.«
    »Sagt ausgerechnet er«, kicherte die Mutter. »Gesichtslose Masse.«
    »Die Menge der Anonymen. Wer will sich dafür schon einsetzen? Jeder Mensch ist bereit, einem anderen zu helfen, solange er selbst entscheiden darf, wer dieser andere ist. Das natürliche Bedürfnis nach Nächstenliebe darf man den Menschen nicht nehmen.«
    »Matthias hat gesagt, in den Fabriken wird überhaupt nicht mehr gestreikt«, sagte Heinz. »Sie haben alles in Ordnung gebracht, das Leben ist besser geworden, fröhlicher. Duschen, größere Fenster. Das hat derFührer für den Arbeiter getan. Och, wenn ich bloß könnte!«
    Von Bötticher knallte sein Glas auf die Steinplatten. »Dann geh doch! Ich halte dich nicht, Mann. Ich habe dir Arbeit gegeben, als du auf der Straße standest, als deine feine Gewerkschaft nichts für dich tun konnte. Und jetzt muß ich mir so was anhören? Geh nur zurück in die stinkige Stadt, vielleicht haben sie ja jetzt Arbeit für dich.«
    Mehr brauchte es für Heinz nicht. Er erhob sich melodramatisch, band seine Schmiedeschürze los und schleuderte sie weg. Er mußte ein ganz anderes Bild von sich haben, ein Arbeiter wie auf den Plakaten, den Blick auf unendlich und hinter einem breiten Schulterpaar die aufgehende Sonne. Doch er war betrunken, die Augen

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