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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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vor mir mit dem Teewagen, die Räder blieben im Kies stecken, sie drehte sich um und girrte sofort los. »Goldig! Wirst du nicht frieren, wenn die Sonne gleich untergeht? Setz dich schnell zu Tisch, zum hochverehrten Publikum. Diese verrückten Jungs, soll ihre Mutter sie doch rufen. Wir sind hier nicht auf dem Öcher Bend, zum Kuckuck. Ach sieh an, sie geht schon. Auf Strümpfen durchs Gras, na ja, warum auch nicht, ich wundere mich über gar nichts mehr.«
    Bei Tisch stopften sich die Säbelfechter das Essen rein, ohne auch nur einen Blick darauf zu werfen. Kleine Kinder tun das, weil sie jedem vertrauen. Sie lassen sich füttern und sehen lachend um sich, bis sich beim Kosten ihr Gesicht verzieht. Bei den Knaben hier drang nicht einmal diese Erkenntnis durch. Sie hatten nur Augen füreinander. Den Spargel ließen sie trotzdem stehen, fütterten sich aber gegenseitig mit gefüllten Eiern, ein Bild, das ich als einzige unappetitlich zu finden schien. Die Mutter sagte nichts. Von Bötticher schüttelte die Tropfen aus den Gläsern undgoß sie bis zum Rand voll. Sie schob den Flaschenhals ein Stück hoch, als er auf die Tischdecke kleckerte.
    »Das macht dir wohl Spaß! Siehst du eigentlich, wohin du gießt?« Sie zwinkerte mir verschwörerisch zu. »Er sieht es nicht. Glaubst du nicht auch, daß er räumlich nichts sieht? Mit diesem Auge?«
    »Meinen Augen fehlt nichts.« Von Bötticher rückte seinen Stuhl ein Stück von ihr weg. »Meinem Auge fehlt nichts. Ich bin nicht im Auge getroffen worden, falls du das noch nicht bemerkt hast.«
    Heinz kam angeschlendert, in einer Schmiedeschürze. Sein Brötchengeber zeigte ihm die Flasche.
    »Sag ich nicht nein«, meinte Heinz.
    »Wen hast du beschnitten?« fragte von Bötticher.
    »Paß auf«, sagte die Mutter, »gleich gießt du wieder daneben. Heinzi, bist du nicht auch der Meinung, daß Egon Tiefe schlecht einschätzen kann?«
    Heinz starrte sie mit hohlem Blick und offenem Mund an, als wehe der Wind durch seinen Kopf. »Megaira. Und ich habe den Hornriß behandelt, hinten links.«
    Sie prosteten und tranken gierig. Heinz trieb es die Röte in die Wangen, sein papiernes Gesicht wurde eines aus Fleisch und Blut. Er blickte auf sein halbleeres Glas, als wäre das amüsant, nahm einen Stuhl, schob sich dabei drei Spargel auf einen Teller und ein Ei. Von Bötticher nickte beifällig. »Ich danke dir. Aber fette die Hufe in Zukunft ein. Vorbeugen ist besser als heilen. Warum trinkst du eigentlich nicht?« Das galt mir, urplötzlich. Ein kurzer Blick auf mein Sommerkleid und dann wieder streng: »Du darfst gern was trinken, um dich vom Schreck zu erholen.«
    »Laß das Mädchen in Ruhe«, sagte die Mutter. »Duhackst ständig auf ihr herum, sie weiß ja gar nicht mehr, wie sie sich verhalten soll.«
    »Laß du mich in Ruhe mit deinem Geschwätz. Oder ich zeig dir mal Tiefe. Die Tiefe dieses Gartens, zum Beispiel. In alle Ecken meines Guts scheuche ich dich. Heinz, hol mir mein Rapier, dann kann ich diese Frau von der Terrasse jagen. Ein Fechter, der keine Tiefe sieht, also so was.«
    Sie reagierte nicht, trank mit hochgezogenen Augenbrauen und blickte auf ihre bestrumpften Füße im Gras. Sie sah zerbrechlich aus. Es war schwer, sich vorzustellen, daß sie mal eine Geburt durchgestanden hatte. Und danach! Ein Kind, na schön, das trug man auf dem Arm, während man mit der anderen Hand sein Hütchen festhielt, aber zwei – und auch noch Jungs –, das war Schwerstarbeit. Die mußte man gleichzeitig stillen, wie ein Tier.
    »Der Hufschmied hat gesagt, Hornrisse haben nichts mit Einfetten zu tun«, sagte Heinz. »Aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Ich habe eine kleine Raute reingeschnitten, dann kann es nicht weiter einreißen.«
    Von Bötticher zuckte irritiert mit den Achseln. Er gab mir Wein, die Säbelfechter bekamen nichts. Sie legten auch keinen Wert darauf. Sie benahmen sich, als hätten sie sich gerade erst kennengelernt. In der Diele hatte man uns kurz miteinander bekannt gemacht. Danach konnte ich schon nicht mehr sagen, wer Friedrich war und wer Siegbert. Meist sind Zwillinge unterschiedlich groß. Diese nicht. Sie kämmten sich das Haar auf die gleiche Weise. Vielleicht war diese goldene Locke, die sie sich ständig aus dem Gesicht streichen mußten, eine Idee ihrer Mutter. Als Siegbert fragte, ob er auf die Toilette dürfe, sprang auch Friedrich auf, doch seine Mutter sagte: »Fritz, sitzen bleiben.« Ohne seinen Bruder wirkte er aufgeschmissen. Die

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