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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Knopf über Friedrichs Rücken. Er blies ihm das Haar zur Seite, um den Kragen zu schließen, packte ihn im Genick und drehte mir sein Gesicht zu: »Ist es nicht bildschön, mein Brüderchen?«
    Als ich ausgeschlossen war, konnte ich den Blick nichtvon den beiden Säbelfechtern wenden. Jetzt sah ich weg, wünschte, sie würden mit diesem albernen Getue aufhören.
    »Fritz ist der Schönere«, sagte Siegbert. »Das sagt jeder.«
    Friedrich riß sich los. »Das ist gelogen! Siegbert ist größer als ich. Und stärker.«
    »Stimmt nicht.«
    »Stimmt wohl.«
    Sie rannten hintereinander her, japsend wie Schulmädchen. Aber als sie ausrutschten, zerrte Siegbert seinen Bruder unsanft zum Spiegel. »Sieh doch selbst, Fritz, wie schön du bist.«
    »Laß mich los«, quiekte Friedrich. »Bitte, bitte, Siegilein. Sei nicht so doof.«
    »Janna, dann sag du’s«, drängte Siegbert.
    Mein Gesicht glühte vor Scham. »Laßt mich da raus!« fauchte ich. »Wir sind hier zum Fechten. Setzt die Masken auf, los!«
    Merkwürdigerweise gehorchten sie. Alles verlief den Regeln gemäß. Mir waren die vom Säbelfechten zwar bekannt, aber für einen Schiedsrichter war es ein sehr schnelles Spiel. Dennoch zweifelten sie meine Autorität nicht an. Wie erwartet, fochten sie gleich gut. Wie in einem Puppentheater schossen sie hin und her auf der Bahn. Nach Friedrichs erstem Stoßtreffer schaffte Siegbert den Ausgleich durch einen Schulterhieb, danach setzte jeder noch vier Treffer. Plötzlich ließ Siegbert seinen Säbel sinken.
    »Warte!« Er hielt einen Finger vor seine Maske. »Ruhig, ich hör was!«
    Wir spitzten die Ohren. Ich hörte nichts, nur einen sich abmühenden Singvogel in der Linde. Die Säbelfechter standen stocksteif da, die Masken vor dem Gesicht.Vielleicht lachten sie. Vielleicht sahen sie mich an und feixten. Ich konnte ihren Gesichtsausdruck nicht sehen. Als ich etwas fragen wollte, hob Siegbert seinen Finger sofort wieder. Daß es Siegbert war, wußte ich nicht einmal sicher. Vielleicht hatten sie in einem unbeobachteten Augenblick ihre Positionen gewechselt. Der andere hob seinen Säbel, als erwartete er einen Angriff. Ich hörte noch immer nichts Ungewöhnliches. Ein Vorhang schlug an die Wand. Unten knallte eine Tür zu. Der Vogel hielt nun endlich den Schnabel. Als ich mich umdrehte, stand der Säbelfechter mit dem Rücken zum Fenster, die Waffe gezückt.
    »Der Golem!« rief er laut. Sie prusteten vor Lachen. Siegbert zog die Maske vom Gesicht. »Einen Moment lang hattest du Angst.«
    »Ja, einen Moment lang hattest du Angst«, sagte Friedrich, »gib’s zu.«
    »So ein Blödsinn«, sagte ich. »Ich kenn den Film ja nicht mal.«
    » Der Golem , den kennst du nicht?«
    Ich schüttelte den Kopf. Sie brauchten nicht zu wissen, daß ich erst dreimal in meinem Leben im Kino gewesen war.
    »Der Golem ist ein Ungeheuer aus Lehm«, sagte Friedrich. »Er wird von einem Rabbi geschaffen, der sein Volk beschützen will. Mit einem Stern auf der Brust erwacht er zum Leben. Aber alles gerät außer Kontrolle, er schlägt alles kurz und klein …«
    »Du erzählst es nicht richtig«, unterbrach ihn Siegbert. »Wir müssen es dunkel machen, sonst ist es nicht unheimlich genug.« Er begann eine Übergardine zu lösen, dicke Staubflocken rieselten herunter, doch die Morgensonneließ sich von dem roten Stoff nicht aussperren. Siegbert winkte uns zu sich. »Es spielt in Prag, vor ganz langer Zeit …« Auf dem Flur ertönten Schritte. Er sperrte die Augen auf, seine Pupillen waren klein. Falsche Hunde haben manchmal so einen Blick, blind wie eine gefrorene Wasserfläche. »Hörst du das? Wir haben den Golem wachgerufen. Ich habe immer schon gewußt, daß es hier spukt. Horch!«
    Die Uhr zeigte halb acht. Das mußte Leni sein, die die Putzeimer aus dem Keller holte. Aber ich lauschte lieber dem, was Siegbert zu erzählen hatte. Zu der Zeit waren wir alle dem Spiritismus verfallen. Meine Freundinnen gruselten sich in den Hinterzimmern ihrer elterlichen Wohnungen in Ekstase. Ich wunderte mich über die Routine, mit der sie Buchstaben aus einer Zeitung ausschnitten, ein Kreuz aus zwei Latten machten und der Stille ihre Fragen stellten. Im entscheidenden Augenblick brach fast immer ein Ehestreit durch die dünnen Wände. Es herrschte eine enorme Spannung in den Limburger Haushalten der Krisenjahre, aber es war nicht die Spannung, auf die wir aus waren. Auf Raeren freute ich mich auf die richtige. Die Zwillinge kannten das Haus schon länger,

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