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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Die Uniformen schlicht, die Mienen entschlossen. Ich kann dir sagen: Mir kamen die Tränen. Und ich war nicht der einzige. Es ist so lange her, daß wir unsere Soldaten sahen. Mut, den nehmen sie uns nicht.«
    »Ich erinnere mich an die Husaren«, hörte ich Heinz sagen. »1914. Die machten wirklich nicht viel her. Schön rausgeputzt, das schon, aber da waren Männer dabei, die eindeutig noch nie die Faust geballt hatten, gemütliche Dickwänste, die gern Wurst aßen, und Intelligenzler mit Kneifer, bei denen man sich nur fragen konnte, wie die es da draußen aushalten würden.«
    »Intelligenzler mit Kneifer? Weltjuden. Die kann man nur mit Mühe zertreten, die rutschen überall durch. Wie Asseln.«
    Von oben erschallte Grammophonmusik, falsche Foxtrottfetzen, die jede Leidenschaft ersticken würden, nicht aber die des Epheben. Nichts konnte ihn, den heranstürmenden Mann, von mir, der ersten Frau, ablenken. Von unserem zugigen Garten Eden würde ihm immer in Erinnerung bleiben: mein eingepacktes Möschen, das zwischen seinen Fingern wartete.
    »Herr Raab, sagen Sie mal, ist Doktor Reich nicht auch so einer? Ein Weltjude?«
    »Warum, glaubst du, haben wir ihn zu Hause gelassen? Nur dein Boß gibt sich mit diesem staatenlosen Ungeziefer ab. Es ist nur, er hat so viele Beziehungen, wirdürfen nicht übereilt handeln. Aber dazu später mehr, jetzt erst …«
    »Die schlauen Männer«, sagte Heinz mit dicker Zunge. »Wissenschaftler. Es vergeht kein Monat, ohne daß sie wieder was erfinden, und trotzdem wird keine Arbeit eingespart. Als ich noch in der Fabrik gearbeitet habe, mußten sie Leute einstellen, die die Maschinen bedienen konnten. Aber wurde die Arbeit dadurch besser? Nein. Die Maschine stand zwischen uns, niemand verstand sie. Niemand verstand mehr, was der Sinn seiner Arbeit war …«
    Seine Darlegungen verloren sich in einem Hustenanfall, und dann fiel auch noch die Flasche um, was dem Unparteiischen eine Serie von Flüchen entlockte.
    »Ich hol eine neue«, keuchte Heinz, »wir haben genug.«
    Ich hörte ihn ganz in der Nähe herumtappen. Was, wenn er sich daran erinnerte, daß Friedrich in die Kammer gegangen war? Ich suchte nach einem besseren Versteck, doch das war für Friedrich nur das Signal, mein Trikot herunterzuziehen und mir sein steuerloses Glied zwischen die Beine zu stoßen. Ich zeigte ihm den Weg nicht. Ich beschloß, mich außerhalb des Lichtkreises zu halten, so daß ich seinen Blick ergründen konnte. Aus dem Dunkel heraus sah ich, wie seine beunruhigte Leidenschaft verschwand, sowie er, glühend heiß, das dann doch, in mich eindrang. Danach gab es nur noch Feststellungen. Seine: Das bin ich, und ich tue das, und meine: Das hätte ich nicht tun sollen. Und wo war nun seine Schönheit geblieben? Ich versuchte, mich unter ihm auszustrecken, doch alles, was ich sehen konnte, waren die Bewegungen unter den hastig abgestreiften Kleidern.
    »Der Arbeiter, der hat nicht mehr verstanden, wofür er arbeitet, verdammt noch mal!« schrie Heinz dicht nebenuns. »Er vereinsamte! Wir waren einsam in diesen Jahren. Waren wir nicht verdammt einsam alle zusammen, in diesen Jahren nach dem Krieg?«
    » Die Zeiten sind vorbei, Heinrich. Jetzt haben wir einen Führer.«
    »Ende der Einsamkeit, Heil!«
    »Heil.«
     
    Als wir herauskamen, schliefen sie, die Köpfe auf den Armen. Es war noch nicht einmal sieben. Unter dem Ohr des Unparteiischen lag die Armbinde mit dem Hakenkreuz, wie ein maßgeschneidertes Kopfkissen. Es hatte etwas Animalisches, wie sie da eingenickt waren, vor ihnen auf dem Tisch die Pastete, die sie nicht aufgewärmt, sondern mit den Händen auseinandergerissen und leergegessen hatten. Des weiteren waren noch eineinhalb Flaschen Apfelkorn in diesen offenen Mündern verschwunden, aus denen jetzt nur Schnarchen drang, Schnarchen, mit dem sie sich viel gemütlicher unterhielten als mit Worten. Friedrich angelte zwei Fleischstücke aus der Pastete und legte sie ihnen auf die Zungen.
    »Der Leib Christi.«
    Die beiden Schläfer waren lächerlich, aber ich genierte mich nicht ihretwegen. Es war die Art und Weise, wie Friedrich durch die Küche ging, die Zigarette, die er gefunden hatte, anzündete, und die Absicht hinter seinem offenen Hemd. Ich hatte erwartet, daß er den Vorratsraum mit einem gewissen Weihegefühl verlassen würde, daß er vielleicht einen Moment hätte allein sein wollen, durch den Garten schlendern würde, den Kopf im Nacken, oder daß er zumindest meinem Blick ausgewichen

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