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Die niederländische Jungfrau - Roman

Die niederländische Jungfrau - Roman

Titel: Die niederländische Jungfrau - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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wäre. So werden Frauenvernascher geboren, dachte ich bitter. Aufder Schwelle eines Stundenhotelzimmers setzen sie sich einen Zylinder auf, während sie ihre Scham und ihr Staunen für immer im Dunkel hinter sich lassen. Während er rauchte, warf er mir ein Lächeln zu, das gleiche affektierte Lächeln, das sein Bruder aufsetzte, wenn er ein Gefecht gewonnen hatte und die Maske abwarf, hinter der er gerade noch tausend Tode gestorben war. Ich ertrug Niederlagen durchaus, verachtete jedoch Fechter, die sich hinterher weismachten, sie hätten den Sieg die ganze Zeit sicher in der Tasche gehabt.
    »Was hältst du davon, wenn wir oben mal einen Blick reinwerfen?« fragte ich, während ich zwei Gläser bis zum Rand füllte. »Es hört sich an, als ob da die Hölle los ist.«
    Er sollte bloß nicht glauben, ich würde hinter ihm herlaufen. Ich ließ ihn warten, während ich mir vor dem Spiegel die Haare flocht, und sorgte dann dafür, daß ich voranging. Im Fechtsaal war tatsächlich die Hölle los. Ich sah zehn weit aufgerissene Münder, die aßen und tranken, ohne zu schmecken, die sich bewegten, ohne daß Worte mit irgendeiner Bedeutung herauskämen, die mit dem Grammophon mitgrölten, ohne zu singen. Trotzdem sahen sie nicht unnett aus. Sie trugen alle die gleiche enggeschnittene Uniform mit Koppel und signalroter Armbinde, die betonte, wie sehr das Hakenkreuz auf Raeren immer gefehlt hatte. Bevor diese linken Arme schwungvoll in den Fechtsaal kamen, hatte das Emblem ein graues Dasein auf Briefmarken und Reichsmarkmünzen geführt, auf Jubiläumslöffeln, Heinzis Liederbuch und dem Lieferwagen des Schlachters, der im übrigen auch unser einziger Besucher war, der pflichtschuldigst den Arm zum Hitlergruß hob. Doch noch nie hatte ich die Swastika am lebendigen Leib gesehen, in schwarz-weiß-roter Kreisbewegung.
    »Endlich, eine Frau!«
    Er war mit Abstand der größte, wahrscheinlich auch der älteste. Er stand da, in der einen Hand eine Flasche Schnaps, in der anderen eine Mettwurst.
    »Das ist die Niederländerin«, sagte jemand.
    Der Große schenkte neben seinem eigenen ein zweites Glas voll. Die Wurst hatten sie wahrscheinlich selbst mitgebracht, doch in den zermatschten Resten von Schlagsahne und Krümeln erkannte ich Lenis Sahnetorten wieder. Bei uns daheim war es verpönt, Süßes und Herzhaftes durcheinander zu essen. Meiner Mutter zufolge täten so etwas nur Schweine, und meinem Vater zufolge bekäme man Magengeschwüre davon. Essen mußte an feste Regeln und Zeiten gebunden werden, darin waren sie sich immerhin einig.
    »Eine Niederländerin«, sagte der Große nachdenklich. »Damit habe ich keine Probleme, Willy, Niederländer sind Germanen. Hast du nicht gerade gesagt, wir müssen alle deutschen Stämme in einem Bündnis vereinen? Die Volksgemeinschaft. Damit würde ich jetzt gern anfangen. Was meinen Sie, gnädiges Fräulein? Ein bißchen Volksgemeinschaft, Sie und ich?«
    Ich nahm das Glas an. »Als erstes schon mal: ich tanze gern.«
    Brüllendes Gelächter. Während ich am Arm des Großen in die Saalmitte ging, sah ich Siegbert am Fenster stehen, steif und ganz weiß im Gesicht. Uns würdigte er keines Blickes, er schaute zu Friedrich. Ob er etwas roch, wie ein Tier? Hatte er die Euphorie seines Bruders von dem Moment an gespürt, als dieser in mich eingedrungen war? Ich wollte nicht daran denken.
    »Ist das hier nicht gesellig?« sagte der Große, währender umständlich die Führung übernahm. »Nur schade, daß der Herr des Hauses nicht mit von der Partie sein wollte. Sie haben wohl keine Ahnung, wo er sich herumtreibt?«
    Er hatte schöne grüne Augen, aber damit war auch schon alles gesagt. Seine Nase, die rechts ordentlich was abbekommen hatte, nahm einen großen Teil seines Gesichts ein, das bestimmt ein Pfund schwerer sein mußte als ein durchschnittliches Gesicht, so viel Fleisch lag darauf. Die Lippen, voll und ungleich, schienen wie mit einem Messer ausgeschnitten, so wie Kinder es bei Kartoffeln tun. Eigentlich war er rührend.
    »Und dann diese Neffen von ihm, oder was sind sie …«
    »Schüler. Säbelfechter.«
    »Faszinierend. Fechten sie auch gegeneinander?«
    »Jeden Tag.«
    »Mir scheint, die sind gar nicht imstande, einander richtig zu treffen. Man sagt doch, daß eineiige Zwillinge die Schmerzen des anderen spüren, weil sie sich die Plazenta geteilt haben, oder? Gegeneinander zu fechten muß dann unmöglich sein, genauso wie sich selbst zu schlagen.«
    Auf einmal bekam ich keine

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