Die Noete des wahren Polizisten
mutigsten Zeitgenossen erlaubt, mit denen er sich ausdrücklich identifiziert, eine enorme Freiheit; gleichzeitig aber bewahren seine Texte hinsichtlich ihres Gehalts an »Abenteuer« die traditionelle Spannung. Das heißt, dass seine Romane immer auch Romane im herkömmlichen Sinne des Wortes sind. Und es ist die Fragmentarisierung, die den Verleger seiner unveröffentlichten Werke zwingt, das Vermächtnis eines Schriftstellers zu respektieren, für den jeder Roman Teil ist eines immer schon begonnenen großen Romans auf der Suche nach einem Ende, das ihm als Utopie vorschwebt.
Auch der Titel bietet Anlass zu einer Reihe von Überlegungen. Die Nöte des wahren Polizisten ist zweifellos der am wenigsten nach »Bolaño« klingende Titel von allen, doch geht aus den Texten, die als Schreibmaschinenmanuskripte oder als Dateien in seinem Computer vorliegen, klar hervor, dass er für Bolaño definitiv feststand. Wir haben es hier offenbar mit einem langen und deskriptiven Titel zu tun, der ohne den von ihm gewohnten inneren Rhythmus und ohne die kleinste Provokation oder Schrägheit auskommt (was etwa bedeutet wilde Detektive oder mörderische Huren?). Dennoch steckt darin ein weiterer Schlüssel in seiner ohnehin mit verschlüsselten Hinweisen gespickten Prosa, Metapher, die nicht nur auf Die wilden Detektive verweist, sondern vor allem auf einen anderen, ebenfalls wenig »bolañesken« Typus, den des unabgeschlossenen Romans von Padilla, Der Gott der Homosexuellen . In beiden steckt ein Schlüssel: Ich sagte bereits, dass der wahre Polizist der Leser ist, der von Anfang an mit den Nöten zu kämpfen hat, ständig auf falsche Fährten zu geraten, so wie sich hinter dem Gott der Homosexuellen der Aids-Virus verbirgt, Metapher für eine unausweichlich zum Tod führende Krankheit, die Padilla daran hindert, seinen Roman zu Ende zu bringen.
Wir haben hier also einen »Detektiv« in Gestalt des Literaturwissenschaftlers Amalfitano, der das Zentrum der metaliterarischen Dimension des Romans verkörpert. Dann haben wir einen Polizisten in Gestalt des Lesers. Und es gibt einen wahren Protagonisten in Gestalt von Padilla. Detektiv, Leser/Autor und Herold des Todes sind die Protagonisten einer Suche, die kein festes Ziel (und kein Ende) hat. Das zwingt uns mehr denn je, uns auf die narrative Entwicklung zu konzentrieren, was auch heißt, dass der Text seine Spannung nicht aus der Auflösung bezieht, sondern aus dem, was geschieht. Nicht anders lesen wir ja auch den Quijote , einen Roman, der trotz seines Endes bis heute lebendig ist, denn wer am Schluss stirbt, ist nicht der Ritter, sondern der mediokre Hidalgo.
Und wie im Quijote – das heißt, wie im besten zeitgenössischen Roman – besitzt das Fragment den gleichen Wert wie die mögliche Einheit, die man vom Roman fordert, mit einem Zusatz: Die Fragmente, Situationen, Szenen, sind in sich geschlossene Einheiten, die sich trotzdem in eine höhere, nicht unbedingt sichtbare Einheit einfügen. Man könnte fast sagen, wir kehren zum Ursprung der Literatur zurück, zur Erzählung oder, besser gesagt, zu einer Folge von Erzählungen, die sich gegenseitig stützen. Selbstverständlich gibt es einen roten Faden, der Amalfitano mit seiner Tochter Rosa, mit seinem Geliebten Padilla, mit dessen Geliebter Elisa, mit Arcimboldi, mit den Carreras, mit dem kuriosen Dichter Pere Girau verbindet; so wie in einem anderen Kontext Pancho Monje, Pedro und Pablo Negrete oder der Chauffeur Gumaro zusammenhängen. Und das gleiche gilt für die verschiedenen Schauplätze, auf denen wir uns lesend bewegen, ob Chile, Mexiko – und in Mexiko Santa Teresa und Sonora – oder Barcelona, Bolaño-Lesern wohlvertraut. Es gibt sogar eine sehr starke Verbindung zwischen Anfang und Ende, zwischen Padillas Leidenschaft für die Literatur und der schließlichen Entdeckung, dass Elisa der Tod ist. Was Die Nöte des wahren Polizisten aber zu einem denkwürdigen Roman macht, ist nicht seine Einheit (die die zunehmende Mittelpunktsrolle Padillas ermöglicht, wie Don Quijote Opfer der Literatur und der Liebe, in diesem Fall die todbringende Liebe unserer Zeit), sondern die verschiedenen Situationen und das, was jede von ihnen suggeriert.
Wir bewegen uns hier, wie für die zeitgenössische Erzählkunst charakteristisch, auf dem Terrain von Gewalt, Missverständnis, Entfremdung, Extravaganz, Krankheit, sublimer Dekadenz. Geschichte folgt auf Geschichte: Die von der Stewardess und dem Mangosaft, die vom Rekruten
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